Sommersonnenwende (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
hatte. Plötzlich kann ich mich wieder an Dinge erinnern, die so weit zurückliegen, dass es eigentlich nicht sein kann. Es sind Erinnerungen aus meiner Kindheit und aus der Zeit, da die Nyriden noch seelenlose Geschöpfe waren.“ Dann sah er sie an, lächelte und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. „Aber deine Worte waren dennoch wunderschön.“
„Dann bist du nicht böse, dass du all die Jahre mein Herz mit ihm teilen musstest?“
„Nun, ich muss zugeben, dass es mir dieser Gedanke nicht leicht fällt. Doch nach allem, was mit mir geschehen ist, glaube ich dir. Und auch, wenn ich ihn dafür verfluche, so empfinde ich doch Mitleid. Denn du bist in diesem Sumpf geboren und würdest eigentlich ihm gehören. Sein Leid war mein Glück. Und nun, da ein Teil von ihm zu mir zurückgekehrt ist, sind wir eins und dürfen dich beide gleichermaßen in unsere Arme schließen, dich küssen und dir die Tränen aus dem Gesicht wischen.“
Arrow küsste ihn. Der Gedanke, dass der andere Keylam nicht gänzlich verstorben war, wirkte befreiend. Jedoch gab es nun etwas anderes, das der Liebe zu ihrem Mann im Weg stand, denn sie war inzwischen zur Blauen Lady geworden, trug die Efeufesseln an ihrem Körper und war nun viel mehr das Pfandstück zwischen den Welten als eine Frau, die ungehindert ihr Leben leben durfte.
Als sie sich aus dem Kuss löste, fuhr sie ihm mit ihren Fingern übers Gesicht.
„Wie ist es dir in den letzten Monaten ergangen?“, fragte sie.
„Ich nehme an, Bon hat dir von denen erzählt, die wir aufgelesen haben?“, entgegnete er betrübt. „In all den Jahren, die ich nun schon auf dieser Welt wandle, habe ich Kriege miterlebt und war Zeuge des Elends, den ein endloser Winter hervorbringt. Doch so etwas habe ich noch nie zuvor gesehen. Sie alle waren so verändert. Als wohnte kein Geist mehr in ihren Körpern. Es war grauenvoll und ihr Anblick sucht mich jede Nacht in meinen Albträumen heim.“
Arrow hielt inne. Nie zuvor hatte sie Keylam so reden hören. Es verdeutlichte ihr nur noch mehr, dass diese Vorfälle weitaus schlimmer waren, als sie es ohnehin schon vermutet hatte.
„Was ist mit der Weltenbibliothek?“, fragte sie schließlich, um ihn von dem Gedanken fortzubringen. „Ist deine Suche erfolgreich verlaufen?“
Er schüttelte den Kopf. „Der Gnom und ich, wir haben alles durchsucht. Dieses Mal wollten wir nichts dem Zufall überlassen. Trotzdem haben wir nichts gefunden. Allerdings war ein Mann unter den Gästen, der offenbar im vorletzten Sommer die Geschichte der Alten Könige studiert hat. Jedem Hinweis war er nachgegangen und er hat sich daran erinnert, viele schlaflose Nächte mit der Suche nach weiteren Informationen verbracht zu haben. Sogar die Bücher hat er uns noch nennen können. Doch an das Wissen selbst hat er sich nicht entsinnen können und ganz gleich, welches der genannten Werke wir auch durchsucht haben, wir haben entweder nur leere Seiten oder aber Anzeichen dafür, dass sie entfernt worden, gefunden.“
„Dennoch grenzt es an ein Wunder, das dir nichts geschehen ist“, erwiderte sie liebevoll. „Ich bin in unserem alten Schloss gewesen und mit den Büchern dort sind sie nicht so schonungslos umgegangen. Kein einziges existiert mehr. Und obgleich ich mehr als glücklich darüber bin, dass die Weltenbibliothek von diesem Schicksal verschont geblieben ist, kann ich mir nicht erklären, warum sie mit den Werken dort anders verfahren sind.“
„Ich nehme an, dass sie ihre Spuren dort schon sehr viel früher verwischt haben. Viel wahrscheinlicher ist sogar, dass es vor ihrer Rückkehr geschehen ist. Schließlich haben sie ihre Handlanger überall. Und nun, da sie wieder da sind, nutzen sie jede Möglichkeit, ihre Macht zu demonstrieren. So etwas lässt keinen Spielraum für Heimlichtuereien. Und wie sich gezeigt hat, ist es auch gar nicht mehr notwendig. Bereits jetzt ist jeder Hinweis auf die Vorfälle der Vergangenheit verschwunden.“
„Was aber, wenn sie nun nicht länger darauf aus sind, ihre Taten in Vergessenheit geraten zu lassen?“, entgegnete sie mit Schrecken. „Der Anblick der verbrannten Bücher lässt darauf schließen, dass es ihnen inzwischen um sehr viel mehr geht. Als wollten sie die Geschichte neu schreiben.“
„Es würde ihnen ähnlich sehen. Schließlich hat es in der Vergangenheit immer wieder fragwürdige Machthaber gegeben, die versucht haben, Erinnerungen an Helden oder Märtyrer auszulöschen. Ganzen Völkern das Andenken
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