Sommertochter
Wasser
aus dem Hahn trinke und mich wundere, dass keine Gestrandeten hiergeblieben
sind und auf dem Boden schlafen. Ich steige unter die Dusche, das kalte Wasser
macht den Kopf wieder klar und ich erinnere mich an die Kellertür. Nach dem
Duschen öffne ich sie und schaue die Holztreppe hinab, die Glühbirne im Raum
flimmert, wir haben vergessen, das Licht wieder auszuschalten.
Ich räume auf. Ich gehe mit dem Müllsack durchs Haus und schmeiÃe
alles hinein, Reste von Südfrüchten, Kronkorken und abgebrannte Wunderkerzen.
Jan steht in der Sonne und bewässert mit einem Schlauch
die Beete, die keine Beete mehr sind, weil nichts in ihnen wächst, weder Blumen
noch Kräuter noch Gemüse. Es hat, seit ich hier bin, noch kein einziges Mal
geregnet. Nur ein paar letzte Stängel stehen gelb, traurig und blattlos in die
Höhe. Jan lässt den Schlauch auf den Boden fallen und geht ein paar Schritte
zum Haus zurück, dreht das Wasser ab.
Ich betrete Jans Garten. Jan beachtet mich kaum, er kniet vor seinem
Haus in der Sonne, er kniet auf dem Boden und reiht die Hausmodelle immer
wieder neu auf, als bilde er eine Hierarchie. Eines der Modelle hat ein
Stockwerk mehr als das wirkliche Haus, zu einem Modell gehört ein Swimmingpool,
ein anderes ist umgeben von einem kleinen Wald, das muss doch Jahre dauern, bis
die Bäume so dicht und groà gewachsen sind. Jan nimmt aus einem Korb eine
Spraydose und sprüht eins der Häuser mit rostrotem Glanzlack an. Als es
getrocknet ist, betrachtet er es von allen Seiten. Dann wirft er es zur
Spraydose in den Korb. »Fertig für heute«, sagt er und ich helfe ihm, die
Modelle ins Haus zu tragen.
Ich erschrecke mich kurz, als ich die ausgestopften Tiere an den
Wänden im Flur wiedersehe. Er verschwindet in der Küche, ich bleibe im
Türrahmen stehen. »Hunger?«, ruft er mir über die Schulter hinweg zu und
beginnt, den Kühlschrank auszuräumen.
Während Jan in der Küche das Fett aus der Pfanne spritzen
lässt und immer wieder laut flucht, sehe ich mir das Haus an. Im Wohnzimmer
entdecke ich zwei groÃe Zeichenblöcke und eine Kladde, kurz lasse ich den
Daumen hineingleiten und blättere sie ein wenig durch, auf jeder Seite eine
Bleistiftskizze, Häuser, Autos, Gesichter von Frauen, die ich nicht erkenne,
Gesichter von alten Leuten. Daneben ein Laptop, ein paar Fotofilme und eine
Handvoll Stifte. Als das Telefon klingelt und Jan nicht aus der Küche kommt,
nehme ich ab. Eine kratzige Männerstimme fragt, ob Madeleine da sei oder Naomi.
Ich verneine, und als er fragt, wann sie wieder kämen, antworte ich, dass ich
das nicht wüsste, aber dass ich glaube, dass sie hier nicht wohnen. Der Mann
beginnt zu stöhnen, ich drücke auf den Knopf und unterbreche das Gespräch.
Auch wenn dieses Haus von auÃen meinem ähnelt, ist der
Grundriss ein anderer. In dieses Haus wurden Energie und Ideen gesteckt, es
wurde ein Haus daraus gemacht, eines, in dem es sich leben lässt. Nacheinander
öffne ich alle Türen und sehe hinein, viele sind es nicht. Das Zimmer, in dem
das Papier verteilt war, sieht noch genauso unordentlich aus wie vor ein paar
Tagen. Eine Treppe führt hinauf zum ersten Stock, der wie in meinem Haus aus
einem einzigen groÃen Raum besteht. An der Wand lehnt Rahmen neben Rahmen, in
ihnen Schmetterling neben Schmetterling, durch die kleinen Körper sind
Stecknadeln gestochen, die sie auf der Rückwand akkurat und alle im gleichen Abstand
zueinander festhalten. Ein Rahmen ist voll mit schwarz-gelben Schmetterlingen,
wie Mehrlinge sehen sie aus, nichts unterscheidet sie. In einem anderen Rahmen sind
groÃe und kleine, neonfarbene, gestreifte, gepunktete Schmetterlinge
nebeneinander aufgereiht. Ich rutsche auf den Knien von Rahmen zu Rahmen, ein
paar sind staubig, als würden sie schon ewig hier stehen, von anderen wiederum
ist das Glas so klar, als sei es erst gestern poliert worden.
»Wie gefällt dir meine Sammlung?«, fragt Jan, er steht auf der
Treppe, mit einem Messer in der Hand. Mit einem Schritt ist er neben mir. Er
schiebt das Messer unter den Rand eines Kastens und öffnet ihn. Ich erzähle ihm
von dem Mann am Telefon, der erst die Mädchen sprechen wollte und dann stöhnte.
»Das Telefon klingelt hier oft«, sagt Jan, »ich gehe nicht mehr dran, es sei
denn, ich erwarte einen Anruf.« Mit gespreizten Fingern löst er alle Schmetterlinge
von
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