Somnambul Eliza (German Edition)
nicht
aussprichst, die zweite Hälfte weglässt. Ich habe jedes Mal das Gefühl, dass da
noch etwas anderes ist, etwas Verborgenes, Abgründiges. Ist das Weltschmerz?
Melancholie? Oder einfach nur Pose? Ich kann es nicht richtig zuordnen, aber es
ist fast immer da.“
Mit der freien Hand griff Valeriu
unter ihr Kinn, um ihr Gesicht zu sich heranzuziehen und sie zu küssen. Es war
ein zärtlicher Kuss und seine nach dem Öl duftenden Hände liebkosten Elizas
Wangen und ihren Kiefer, bis sie die Arme um seinen Hals legte und sich von ihm
emporziehen ließ. Valeriu lächelte sein schönes, charmantes Lächeln, als er
sagte: „Du kennst mich sehr gut, Eliza. Manchmal ist mir nicht bewusst, wie gut. Und in Hinblick auf meine defätistische Ader gelobe ich Besserung.“
Eliza musste grinsen: „Stimmt.
Defätismus zählt wirklich zu deinen Untugenden. Manchmal habe ich den Eindruck,
du versuchst mich mit deinen Andeutungen systematisch zu verunsichern.“
Er schüttelte leicht mit dem Kopf und
erklärte: „Ich will dich nicht verunsichern, Eliza. Ich verunsichere mich
selber, indem ich mir immer wieder die Frage stelle, womit ich dich verdient
habe, statt es einfach zu genießen, dich bei mir zu haben.“
Eliza strich ihm eine goldblonde Strähne
aus dem Gesicht, die sein türkisgrünes Auge verdeckt hatte. Sie kannte Valeriu
nun seit fast zwei Monaten und er war ihr in dieser Zeit sehr vertraut
geworden, aber an den Anblick dieser herrlichen Augen hatte sie sich noch immer
nicht gewöhnt.
Es war jedes Mal das Gleiche. Immer wenn
sie versuchte, ihm in Hinblick auf seine rätselhaften Bemerkungen habhaft zu
werden, entglitt er ihr auf seine unnachahmlich elegante Weise und sie erlag
seinem Charme jedes Mal aufs Neue, ohne ein Stück weitergekommen zu sein.
Am
nächsten Spätnachmittag hielten sie sich in der Bibliothek auf, auf der Suche
nach geeigneter Lektüre für einen düsteren, verschneiten Winterabend. Eliza
schlenderte etwas unschlüssig an den deckenhohen Bücherschränken entlang.
„Du hast meine Lieblingsbücher gefunden
– mal sehen, ob mir das auch gelingt“, erklärte sie und wandte sich den Regalen
zu, in denen Romane, Erzählungen und Gedichtbände standen. Valeriu hatte seinen
Lesestoff bereits gefunden und ließ sich nun in einem der Sessel am Kamin nieder,
um Eliza bei ihrer Auswahl zuzusehen.
„Dass du Goethe und Baudelaire verehrst,
weiß ich schon. Aber ich glaube, das hier liegt dir auch sehr am Herzen“, sagte
sie und zog ein schmales, in Leder gebundenes Buch aus dem Regal und hielt es
ihm hin. Er stand auf und musste etwas näher treten, um bei dem schummrigen
Licht zu erkennen, welches Buch sie in der Hand hielt. Dann breitete sich ein
kleines Lächeln auf seinem Gesicht aus.
„Du hast Recht, Dorian Gray ist
eines meiner Lieblingsbücher. Wie hast du das erraten?“ wollte er wissen.
„Ich habe es nicht am äußeren Zustand
festgemacht. Das wäre bei deinen vielen alten Ausgaben wohl auch kaum möglich.
Ich fand bloß, dass es zu dir passt.“
Valeriu schaute sie fragend an.
„Irgendwie musste ich, seit ich dich
kenne, mehrmals an Dorian Gray denken; deine alterslose Erscheinung, dieses
Geheimnis, mit dem du dich umgibst, dein Lebensstil. Vielleicht lagern unten in
diesem Kellerraum gar nicht Antiquitäten, sondern eine Staffelei mit deinem
Portrait“, spekulierte sie schmunzelnd.
Valeriu lächelte sein schönes,
verführerisches Lächeln: „Das wäre in der Tat eine reizvolle Alternative.“
„Zu was?“ fragte sie nach.
Er schaute sie verständnislos an und sie
führte aus: „Nun, der Begriff Alternative impliziert einen Gegenvorschlag.“
Seine schillernden Augen nahmen einen
wachsamen Ausdruck an.
„Eine Alternative zu alten, staubigen
Möbeln“, erklärte er gleichgültig.
Eliza schlug das Buch auf.
„Es enthält eine Widmung – auf deinen
Namen!“ stieß sie verwundert hervor.
„Ja, mein Urgroßvater ist Wilde
begegnet. Beneidenswert, oder?“
„Das ist in der Tat beneidenswert. Hat
er dir von der Begegnung erzählt?“
Valeriu schüttelte den Kopf.
„Nein. Bedauerlicherweise haben wir
einander nicht mehr kennengelernt.“
„Aber es gehört nicht nur wegen der
Verbindung zu deinem Großvater zu deinen Lieblingsbüchern. Gib’s zu, du fühlst dich Dorian Gray seelenverwandt, oder?“
Valeriu trat an die kleine Spirituosenbar , die Eliza bisher für reine Dekoration
gehalten hatte und genehmigte sich einen Drink. Die
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