Song of the Slums
Moore.«
»Mmm.«
»Und wo liegt London?«
»Im Südosten.« Wieder zeigte er in eine Richtung.
»Dort wurde ich geboren, weißt du.«
»Nein, das wusste ich nicht.«
»Hah! Dann weißt du also nicht
alles
über mich.«
Sie saßen in angenehmen Schweigen beieinander. Nach einer Weile hob Verrol einen Steinkrug aus dem Korb, entfernte den Stöpsel und hielt ihr den Krug hin. »Ingwerbier, wenn Sie möchten.«
Sie griff nach dem Krug und nahm ein paar tiefe Schlucke, bevor sie ihn Verrol zurückgab.
»Es so friedlich hier oben«, bemerkte sie.
»Hier oben schon. Aber nicht da unten«, gab Verrol mit düsterem Gesichtsausdruck zurück.
»Was ist da unten?« Astor starrte in den undurchdringlichen Smog. »Du meinst Brummingham?«
»Ja. Wie auch all die anderen Städte in Britannien. Hässlich und brutal.«
»Wieso?«
»All die Soldaten, die seit Kriegsende zurückgekehrt sind. Es gibt keine Arbeit für die Veteranen, also bilden sie Milizen und treiben ihr Unwesen. Sie sind schlimm.«
»Wieso gibt es keine Arbeit für sie?«
»Weil die Fabriken schließen, denn die industrielle Produktion hat abgenommen. Es gibt keinen Grund mehr, Waffen und militärische Ausrüstung zu produzieren. Die Soldaten kamen nach Hause zurück und erwarteten, als Helden empfangen zu werden, stattdessen will sie niemand haben. Sie sind ökonomisch gesprochen überflüssig.«
»Aha.« Astor hatte sich nie für Politik interessiert, und so war sie nicht erstaunt, dass Verrol so viel mehr darüber wusste als sie. Aber es gab eine Sache, bei der sie Bescheid wusste. »Und was ist mit den Gangs aus den Slums?«
Er machte eine Pause, bevor er antwortete. »Tja. Die befinden sich im Krieg mit den Milizen.«
»Sie sind etwas sehr Schlechtes.«
»Sagen Sie nicht schlecht. Die meisten von ihnen sind Kinder, die nie ein richtiges Zuhause hatten. Sie müssen einfach alles tun, um zu überleben.«
»Einschließlich Mord.«
Er warf ihr einen fragenden Blick zu, aber sie sagte nichts mehr dazu. Sie wollte nicht einmal daran denken. Sie nahm noch einen kräftigen Schluck Ingwerbier.
»Du hast mich noch gar nicht nach meinem ersten Tag als Hauslehrerin gefragt«, sagte sie.
»Ich habe abgewartet, bis Sie mir davon erzählen wollten.«
Sie erzählte ihm, wie sie versucht hatte, Blanquette, Prester und Widdy unter Kontrolle zu bringen, und welche Übungen sie sich ausgedacht hatte, um sie ruhig zu halten. Er grinste, als er hörte, wie sie sie mit der Beziehung zu Bartizan geblufft hatte. Der Tag erschien ihr nun, da sie jemandem davon erzählen konnte, noch erfolgreicher.
Inzwischen war die Sonne immer tiefer gesunken, und die Luft wurde frischer. Sie hätte auch gern gehört, wie sein Tag verlaufen war, aber er zuckte nur mit den Achseln. »Nur ein weiterer Tag im Leben eines Dieners.«
Schließlich stellte er den Steinkrug zurück in den Korb. »Zeit, zu meinen Aufgaben zurückzukehren, sonst lässt Mrs Munnock nach mir suchen«, sagte er. »Kommen Sie?«
»Nein, ich möchte gern auf die Vögel warten. Kannst du die Decke hier lassen?«
»Ja. Und die Leiter auch?«
Astor hätte ihm fast die Zunge herausgestreckt. »Natürlich die Leiter. Kann sie da immer stehenbleiben?«
»Kein Problem.« Er schien eine Frage auf der Zunge zu haben.
»Ich würde nach dem Unterricht gerne hierher kommen können«, sagte sie. »Und du?«
»Meine Arbeitszeit ändert sich von Tag zu Tag. Ich komme hierher, wenn ich frei habe.«
Im nächsten Augenblick war er verschwunden. Sie lauschte auf das
Krack-Krack-Krack
der Leiter, während er hinabstieg.
Was für eine seltsame Situation, dachte sie. Auf einem Dach sitzen … Seite an Seite mit einem Diener … sogar sein Essen und Trinken mit ihm teilen! Noch vor einer Woche wäre ihr allein die Vorstellung einer solchen Situation unmöglich erschienen.
Zwanzig Minuten später tauchte die Sonne in den Horizont ein. Als die letzten Sonnenstrahlen sich waagerecht über der Smogglocke ausbreiteten, erschien der erste Vogelschwarm, dann noch einer und noch einer. Die Vögel flogen im Kreis umher, in immer weiteren Kreisen, bis sie wie ein riesiges sich langsam drehendes Rad aussahen. Das Licht ließ ihre Flügel glänzen, und aus der Ferne war ihr Zwitschern zu vernehmen. Auch Astor hätte am liebsten laut ihren Triumph und ihre Traurigkeit, alle Empfindungen des Tages herausgeschrien.
• 12 •
Am nächsten Morgen betrat Astor das Schulzimmer in aller Frühe. Sie hatte ihren Unterricht gut vorbeireitet,
Weitere Kostenlose Bücher