Song of the Slums
ihre Oberarme. »Sie sollten also tun, was ich will.«
Sein Griff wurde schmerzhaft. Er presste sich gegen sie, und zwang sie damit zurückzuweichen.
Genug! Von einer Sekunde zur anderen verwandelte sich ihr Schock in grenzenlosen Zorn. Mit Schwung riss sie ihr Knie nach oben und traf ihn hart zwischen den Beinen. Er rang nach Luft. Sein Gesicht war ganz grau geworden, als er vorsichtig seine schmerzenden Weichteile abtastete.
»So sehr bist du mein Liebling«, fauchte sie ihn an.
Er stützte sich mit einer Hand auf einem Tisch ab. Sie folgte ihm und zwang ihn damit, immer weiter fortzurücken. Er hatte angefangen zu heulen und gab dabei Laute von sich, die gleichzeitig von seiner Demütigung, seinem Schmerz und seinem Groll erzählten. Von Tisch zu Tisch zog er sich weiter zurück, noch immer nicht fähig, aufrecht zu stehen.
Astor rieb sich die Hände, als habe sie eine Arbeit erfolgreich zu Ende gebracht. »Da seht ihr, was passieren kann«, sagte sie.
Blanquettes drohende Stimme wurde immer lauter. »Und gleich werden
Sie
sehen, was alles passieren kann.« Sie erhob sich und ging zur Tür. »Komm, Prester. Du auch, Widdy. Wir werden das melden.«
Einen Moment später knallten die Swale-Kinder die Tür hinter sich zu.
• 20 •
Astors Brust hob und senkte sich, und die Welt um sie herum schien im Nebel zu versinken. Es war schrecklich und grotesk! Ein zwölfjähriger Junge meinte, er könne sie einfach begrapschen, und ihr sollte es nicht erlaubt sein, sich körperlich zur Wehr zu setzen! Die abscheuliche Szene ließ ihr die Haare zu Berge stehen.
Sie bereute, was sie getan hatte – und auf der anderen Seite bereute sie es überhaupt nicht. Es hatte sich seit Wochen angekündigt. Seine Unverschämtheiten hatten beständig zugenommen. Die Unverschämtheiten von allen dreien. Diese aufgeblasenen Bälger! Sie hatte so handeln müssen, das war sie ihrer Selbstachtung schuldig.
Aber sie hatte auch keinen Zweifel daran, dass das Konsequenzen nach sich ziehen würde. Sie musste sich irgendwie beruhigen. Da fiel ihr das Klavier nebenan ein. Keine Minute später saß sie auf dem Klavierhocker und hob den Deckel. Es war allein schon beruhigend, die gewohnte Anordnung der weißen und schwarzen Tasten einfach nur anzusehen. Aber als sie anfing zu spielen, konnte sie die Musik nicht zum Fließen bringen. Ihre Hände waren verkrampft, sie konnte sich nicht auf das konzentrieren, was ihre Finger taten. Ihr Vater hatte immer gesagt, man muss sich der Musik hingeben, aber sie konnte sich nicht hingeben. Die Töne hörten sich in ihren Ohren klumpig und polternd an.
Voller Wut und Frustration hieb sie auf die Tasten ein, heftiger und immer heftiger! Dann warf sie den Deckel mit einem lauten Krachen zu. Das hatten sie ihr nun auch noch verdorben! Sie stieß den Hocker weg, stampfte zurück ins Klassenzimmer und setzte sich an ihr Lehrerpult. Niedergeschlagen saß sie da und wartete, dass jemand kam und sie holte.
Doch sie kamen erst ein halbe Stunde später. Fünf Bedienstete auf einmal marschierten in den Raum und befahlen ihr, sie zu begleiten. Sie führten sie verschiedene Korridore entlang und brachten sie dann in einem Dampffahrstuhl zu den oberen Etagen von Swale House. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie gebracht wurde, bis sie das Zimmer betraten. Es war das Zimmer, in dem gestern das Treffen mit dem Führer der Fortschrittspartei stattgefunden hatte. Dieses Mal allerdings hatte sie ein ganz anderer Weg dorthin geführt.
Ihre Augen flogen sofort zum fröhlich lodernden Kaminfeuer: Es hätte ihr gefallen, wenn Verrol jetzt von der rückwärtigen Seite des Kamins ausspioniert hätte. Das war allerdings ziemlich unwahrscheinlich.
Bartizan und Phillidas standen in der Mitte des Raumes, ihre Ehefrauen und Kinder jeweils hinter ihnen: Blanquette und Prester hinter Bartizan und Widdy natürlich hinter Phillidas. Astor hielt ihren Kopf erhoben, als die Bediensteten sie den Swale-Brüdern vorführten.
»Und?« Bartizan steckte die Daumen in seinen Hosenbund.
Astor zeigte mit dem Kopf auf Prester. »Hat er Ihnen erzählt, was er mit mir gemacht hat?«
»Versuchen Sie jetzt nicht, sich herauszureden«, knurrte Bartizan. »Das wird Sie nicht weiterbringen.«
»Es war ihre Schuld«, rief Blanquette von hinten. »Sie hat ihm Hoffnungen gemacht.«
Astor zog eine Grimasse. »Einem zwölfjährigen Jungen? Nein, danke!«
»Einem Swale.« Blanquette beantwortete Gespött mit Gespött.
»Schön wär’s!«
»Ruhig.«
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