Song of the Slums
und ein Flügel des Tors stand schon offen. Als sie nahte, schob er den anderen Flügel weiter auf.
Aber nun ertönten laute Warnrufe, Befehle wurden geschrien. Astor hörte Blanquettes Stimme lauter als alle anderen, und sie sah, wie Männer sich umdrehten und auf das Tor zurannten.
Sie lenkte den Wagen genau auf das Tor zu, wo Verrol wartete, und zog die Zügel an, damit das Pferd verlangsamte, um Verrol die Chance zu geben, auf den Wagen zu springen. Aber er sprang nicht. Er rannte neben dem Pferdewagen her … und Astor begriff, dass sie keinesfalls entkommen waren. Sie befanden sich lediglich in einer kleineren Halle mit einem zweiten hölzernen Tor vor ihnen. Und
dieses
Tor war noch immer verriegelt.
Sie brauchte die Zügel gar nicht zu benutzen; das Pferd hielt von allein an, und der Wagen kam abrupt zu stehen.
»Und was nun?«, rief sie verzweifelt aus.
Verrol schien sie nicht gehört zu haben, stattdessen war er damit beschäftigt, das Tor hinter ihnen zu verschließen. Er schloss den linken Torflügel, zog den großen Riegelbalken von der anderen Seite herüber und stemmte dann seine Schulter gegen den rechten Torflügel.
Astor sah, wie Prester an der Spitze einer ganzen Männerhorde auf die kleinere Halle zugerannt kam. Verrol konnte den rechten Torflügel gerade noch rechtzeitig zuschieben und den Riegelbalken an seinem Platz zwischen den zwei Flügeln einrasten lassen. Da hämmerten schon die ersten Fäuste von der anderen Seite gegen das Holz. Astor starrte auf das Tor und fragte sich, wie lange der Balken standhalten würde. Sie bemerkte kaum, dass Verrol schon zum zweiten Tor gelaufen war. Das Hämmern hatte aufgehört, stattdessen hatten ihre Verfolger begonnen, sich immer wieder mit vereinten Kräften gegen das Tor zu stemmen. Das Holz wölbte sich sichtbar nach vorne, und ein fürchterliches Krachen war zu hören.
Währenddessen versuchte Verrol, das zweite Tor zu öffnen. Als Astor sich ihm wieder zuwandte, hatte er es gerade geschafft, die Flügel ein paar Zentimeter weit auseinanderzuschieben. Trübes gelbliches Licht war durch den Schlitz hindurch zu sehen, und langsam waberte Smog hinein. Dies war fraglos das Tor nach draußen.
Er stellte sich anders hin, in einen steileren Winkel zum Tor, und drückte mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft dagegen. Bei seiner letzten verzweifelten Kraftanstrengung gaben die Flügel plötzlich nach und schwangen weit auf. Im nächsten Moment saß Verrol schon neben Astor auf dem Pferdewagen und peitschte dem Pferd aufs Hinterteil, um es in Bewegung zu setzen. Astor ergriff die Zügel, aber er riss sie ihr aus der Hand.
»Nein!«
»Aber …« Er griff ihr so fest um die Taille, dass er ihr alle Luft aus dem Körper drückte.
»Spring!«
Das Pferd raste durch das offene Tor, aber sie waren nicht mehr dabei. Verrol war mit einem unglaublichen Satz vom Wagen gesprungen – und hielt dabei Astor fest umklammert. Sie knallten gegen eine der steinernen Wände der kleineren Halle.
»Nach oben! Nach oben!« Verrol musste schreien, um das Knirschen und Splittern des anderen Tores zu übertönen, dessen Riegel immer mehr nachgab.
Es gab jetzt Wichtigeres, als ihn zu beschimpfen, weil er idiotischerweise den Pferdewagen verlassen hatte. Weiter oben ragten Holzbalken aus der Wand, und er war schon dabei, sich von einem zum nächsten zu hangeln. Sie folgte ihm.
Noch weiter oben überspannten Balken den gesamten Raum von einer Seite auf die andere. Nachdem Verrol die Balken erreicht hatte, hielt er inne, kniete sich hin und hielt Astor eine Hand entgegen. Als sie diese ergriff, riss er sie so schnell in die Höhe, dass es ihr schien, als flöge sie.
In derselben Sekunde brach der Riegel, und das innere Tor schwang weit auf. Diener und Männer in Lederwesten stürmten hinein. Als sie das weit offene Außentor erblickten, rannten sie sofort darauf zu.
»Ihnen nach!«
»Folgt dem Pferdewagen!«
»Sucht die Straßen ab!«
»Achtet auf Hufgetrappel und Räder!«
Astor und Verrol beobachteten von oben, wie ihre Verfolger durch das eine Tor hinein und durch das andere hinausstürmten, bei ihrer Verfolgungsjagd nach dem leeren Pferdewagen.
• 22 •
Inzwischen hatte Astor den Trick verstanden. Ihre Verfolger gingen ganz automatisch davon aus, dass sie Swale House so schnell wie nur möglich hinter sich lassen wollten. Nicht einer von ihnen kam auf die Idee, nach oben in die Schatten zwischen den Deckenbalken zu spähen.
Etwa vierzig Mann strömten
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