Song of the Slums
Konzerte ihres Vaters besuchten. Das waren
ihresgleichen
.
Mr Tollamy, der das Tor geöffnet hatte, sprang auf den Kutschbock. Er ließ seine Peitsche knallen, und die Pferde setzten sich mit hellem Klingeln ihrer Glöckchen in Bewegung.
Astor traf eine schnelle Entscheidung. Verrol machte die Sachen auf seine Art, aber sie wollte nicht auf sein Niveau herabsinken. Sie war als Dame erzogen worden, und deshalb wusste sie auch, wie man sich an Damen wandte. Als die Pferde die Straße erreicht hatten, lief sie vom Bürgersteig auf die Straße und schwang ihre Arme.
»Hilfe! Halt! Bitte!«
• 23 •
Der Kutscher reagierte nicht, aber ihm musste eine Anweisung gegeben worden sein, denn nach etwa dreißig Metern zog er plötzlich die Zügel. Als die Kutsche zum Halten kam, warfen die Pferde ihre Köpfe nach hinten, und die Glöckchen klingelten wieder. Es war eine Kutsche nach der allerneuesten Mode, mit Ballonreifen aus Gummi. Die Karosserie bestand aus poliertem Messing, und die Glasfenster sahen aus wie große Bullaugen. Während Astor auf die Kutsche zulief, schauten die beiden Damen aus einem der Bullaugen.
Astor verlangsamte ihren Gang, um damenhafter zu wirken. Da sie ihr derangiertes Aussehen nicht ändern konnte, musste sie die Damen umso mehr mit ihren guten Manieren beeindrucken.
»Komm! Komm näher!«, rief eine der Damen.
Sie waren vermutlich auf dem Weg zur Oper oder zum Konzert, mit ihren geknöpften Krägen, gepuderten Wangen und kunstvollen floralen Haardekorationen. Astor bereitete in Gedanken ein paar wohlformulierte Sätze vor, würdig der Tochter eines Musikers, der mit dem Orden des Empire ausgezeichnet worden war, immerhin dem vierthöchsten Orden des Königreichs.
»Ich muss um Verzeihung bitten …« begann sie.
»Näher, näher!«, rief dieselbe Dame im Ton heiterer Zerstreuung. »Keine Sorge, Mr Tollamy.«
Astor kam noch näher.
»Ans Fenster, meine Liebe«, sagte die andere Dame. »Damit wir sehen können.«
Astor stellte sich genau neben das Bullauge. »Ich muss um Verzeihung bitten, Sie auf diese informelle Art …«
»
Jetzt
, Mr Tollamy!«, kreischten die beiden Damen wie aus einem Munde.
Die Peitsche schnitt durch Astors Kleid, als sei es nicht vorhanden. Ein Peitschenhieb folgte dem nächsten! Sie sank auf die Knie, vor Schmerz unfähig zu denken. Die Striemen auf ihrem Rücken und den Schultern brannten wie Feuer. Als sie es endlich schaffte, sich umzudrehen, sah sie, wie sich Mr Tollamy auf seinem Kutschbock nach vorne lehnte und wie sich sein Arm hob und senkte, während er die Peitsche von links und rechts knallen ließ. Die Damen in der Kutsche schrien vor Lachen.
Astor hob eine Hand und wie aus dem Nichts wand sich der lederne Peitschenriemen um ihr Handgelenk. Da griff sie zu und begann mit aller Kraft daran zu ziehen, obwohl ihre Hand dabei zu verbrennen drohte. Mr Tollamys Arm hielt mitten im Schwungholen inne, und er fiel fast vom Kutschbock. Jetzt zog auch er an dem Lederriemen, und sie konnte ihn nicht länger festhalten, aber zumindest war der Schwung des Angriffs gebrochen. Die Damen lachten, bis ihnen Tränen übers Gesicht liefen.
»Gut gemacht, Mr Tollamy!«
»Was für ein Spaß!«
»
Ich hab mich
so
amüsiert!
«
Astor kroch davon, während die Damen sich, noch immer kichernd, in ihre Sitze fallen ließen. Mr Tollamy saß nun auch wieder in Position, zog an den Zügeln, schnalzte mit der Zunge, rief »Hü!«, und schon fuhr die Kutsche die Straße entlang.
Im selben Moment kam Verrol mit einem ganzen Arm voller Pasteten angelaufen. Astor rappelte sich mühsam auf, bevor er ihr zu Hilfe eilen konnte.
»Was hast du denn gemacht?«, verlangte er zu wissen. »Du hast die doch wohl nicht um Hilfe gebeten, oder? Bist du eigentlich noch bei Sinnen?«
Zumindest hatte er das Ende des Vorfalls beobachtet. Astor klopfte sich den Staub aus dem Kleid. Sie war wütend auf sich selbst, auf ihn, auf die Welt überhaupt. Sie war so wütend, dass sie ihre Schmerzen kaum spürte.
»Nein, ich hab nicht viel abgekriegt«, sagte sie. »Danke der Nachfrage.«
»Du Dummkopf!« Er war genauso wütend wie sie. »Du bist sowas von naiv!«
»Ach ja, bin ich das? Und du bist ein Dieb und ein Raufbold!«
»Du wirst es ertragen müssen. Du brauchst mich.«
Seine Arroganz ließ ihren Atem stocken. Sie hatte es satt, von anderen geduckt zu werden und gesagt zu bekommen, was sie zu tun hatte.
»Hau ab! Und vergiss dein Diebesgut nicht!«
Sie holte aus und schlug ihm die
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