Song of the Slums
Astor gar nicht gut an. »Warum bleiben wir nicht hier?«
»In Slumtown wird uns niemand an die Swales verraten«, sagte Verrol mit Nachdruck.
»Mit etwas Glück finden wir sogar eine Gang, der wir uns anschließen können.«
»Ich will mich keiner Gang anschließen.«
»Warum nicht?«
»Ich kann die Gangs der Slums nicht leiden.«
»Du hast aber keine Wahl. Ohne Hilfe können wir hier jedenfalls nicht überleben.«
Astor hatte diverse Gegenargumente, aber am Ende liefen sie alle auf ein- und dasselbe hinaus: Diese Gangs haben meinen Vater getötet. Doch bevor sie noch etwas erwidern konnte, war Verrol schon losgelaufen.
Sie bogen in eine andere Straße ab, liefen an weiteren Häusern vorbei und hielten sich dabei immer nah an den Hauswänden. Die Wände waren glatt und abweisend, die Häuser wie Festungen. Wenn es überhaupt Fenster gab, waren sie eher wie Schlitze, hoch über der Erde und mit Eisenstäben vergittert.
Geräusche kamen und gingen durch den Smog, meistens gedämpft, aber manchmal klar und laut. Es war nicht möglich zu sagen, ob sie aus der Nähe oder der Ferne kamen. Alles schien gestaltlos, eine Welt gespenstischer ratternder und klappernder Klänge. Es dauerte sehr lange, bevor sie auf ein lebendes Wesen stießen. Astor nahm die Gefahr überhaupt nicht wahr, bis Verrol sich urplötzlich umdrehte und sie mit Schwung gegen eine Hauswand drückte. Ihre Schulterblätter und ihr Hinterkopf machten schmerzhafte Bekanntschaft mit der Steinwand.
»Psst!«
Dann hörte sie sie marschieren, alle im Gleichschritt. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie in Sicht kamen. Sie wirkten wie Schattenbilder, mindestens zwölf von ihnen. Astor betete, dass sie und Verrol – an die Hauswand gepresst – weniger sichtbar waren. Die Männer marschierten so nah an ihnen vorbei, dass sie ihr Atmen und das Rascheln ihrer Kleidung hören konnte. Aber sie marschierten einfach weiter, ohne einmal aus dem Gleichschritt zu kommen und verschwanden in der Dunkelheit.
»Wer waren
die
denn?«, fragte sie..
»Veteranen. Üble Typen. Alles in Ordnung?«
Sie rieb ihren Hinterkopf und spannte ihre Schultern. »Ja.«
Sie gingen weiter. Astor versuchte, nicht so laut aufzutreten, während Verrol wie ein Gespenst dahinglitt. Sie war sich sicher, dass er so etwas schon häufig gemacht hatte.
Und wieder bogen sie um eine Ecke in eine andere Straße. Hier waren die Gaslaternen nicht auf Pfähle montiert, sondern hingen an schmiedeeisernen Halterungen, die aus den Häuserwänden herausragten. Jedes der Häuser hier hatte eine wuchtige Tür, die sich zwischen Säulen befand und mit eisernen Dornen übersät war; auf vielen prangten auch Messingplaketten, die mit den Familiennamen der Bewohner prahlten.
Verrol zeigte auf ein Fahrzeug, das in einiger Entfernung vor einem Haus stand. Es handelte sich um ein Dreirad mit einem riesigen Vorderrad, dessen zwei Hinterräder, zwischen denen sich eine Kiste befand, jedoch viel kleiner waren. Ein Mann in einem weißen Kittel beugte sich zu dieser Kiste hinunter und tauchte mit einem Servierbrett wieder auf.
»Pastetenlieferung«, murmelte Verrol. »Vermutlich ein Bankett.«
Vor sich hin pfeifend, stieg der Lieferant die Steinstufen hinauf und zog kräftig am Klingelzug. Gleich darauf öffnete sich die Tür, und er verschwand im Haus.
Verrol drehte sich zu Astor um. »Hast du Hunger?«
»Was? Wieso?«
Er nickte in Richtung des Pasteten-Dreirads. »Ich wette, der hat noch mehr.«
Astor war schockiert. »Du meinst, du bedienst dich einfach? Ohne zu zahlen?«
»Außer du hast deine Geldbörse bei dir.«
»Aber das ist Stehlen.«
»Ja.« Sein Grinsen war schamlos. »Ich stehle was für dich. Warte hier.«
Sie sah, wie er schnell und geschmeidig loslief und dabei seinen Blick in alle Richtungen schweifen ließ. Er benahm sich wie ein Dieb!
Ein schleifendes metallisches Geräusch lenkte Astors Aufmerksamkeit auf ein Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ein Mann in einer Jacke mit geflochtenen Litzen schob gerade ein vergittertes Tor zur Seite, das einen Innenhof freigab. Dort stand bereit zur Abfahrt eine prachtvolle Kutsche, die von zwei schwarzen Pferden gezogen wurde.
»Beeilen Sie sich, Mr Tollamy!«, rief eine weibliche Stimme.
»Wir verspäten uns noch!«, rief eine andere.
Perlendes Gelächter und die Vornehmheit der Stimmen legten Zeugnis davon ab, dass es sich um elegante, kultivierte Damen handeln musste. Astor hatte plötzlich die Leute vor Augen, die die
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