Song of the Slums
hinaus, um die Straßen abzusuchen – Blanquette, Prester oder Widdy waren allerdings nicht dabei. Ein letzter Mann verschloss beide Tore von innen. Offensichtlich diente der kleinere Raum nur als Luftschleuse, um den Smog an den Laderampen zu verringern. Doch nun waberten Smogwolken durch den Raum. Giftige gelbe Smogfetzen hüllten die Deckenbalken ein. Ein leichter Gestank nach faulen Eiern ließ Astor würgen. Sie hielt sich die Nase zu und versuchte, nicht einzuatmen. Verrol stupste sie an und hielt ihr sein Halstuch hin. Sie ließ es geschehen, dass er es ihr wie eine Maske über Mund und Nase festband.
»Nach und nach gewöhnt man sich dran«, flüsterte er.
Zwanzig Minuten später lief ein weiterer Trupp Männer nach draußen. Es waren Dienstmänner in blau-goldener Livree, und sie führten Pistolen, Gewehre und andere Waffen mit sich.
»Die Swale-Leute sind auf der Jagd nach dir«, kommentierte Verrol das Geschehen.
Er nannte die Dienstmänner
Swale-Leute
, was abschätzig klang. Aber der Anblick ihrer Waffen ließ Astor zittern.
»Wieso bin ich so wichtig?«, fragte sie.
»Du könntest eine Gefahr für sie sein. Du hast versucht, deinem Stiefvater zu schreiben, du könntest es wieder versuchen.«
»Woher weißt du das?«
»Ich hab das Ganze durch den Kamin beobachtet.«
»Ach so. Da habe ich ja wirklich Glück gehabt.«
»Es war aber auch sehr leichtsinnig von dir, den Brief einfach in deinem Zimmer zu lassen.«
Astor gefiel es nicht, kritisiert zu werden, obwohl er sicherlich recht damit hatte. Er hatte seine Stellung in Swale House geopfert, um sie zu retten – und zweifellos seine Zukunft im Haushalt von Marshal Dorrin ebenso. Sie verstand nicht, warum er das getan hatte, aber sie war ihm sehr dankbar dafür. Deshalb ließ sie sich auch nicht anmerken, dass sie es schon befremdlich fand, dass er sich nun einfach die Freiheit genommen hatte, sie zu duzen.
Nach etwa dreißig Minuten kamen die gewöhnlichen Bediensteten sowie die Männer in den Lederwesten zurück. Vermutlich mussten sie sich wieder um ihre normalen Aufgaben kümmern.
»Wann brechen wir auf?«, fragte Astor.
»In der Nacht«, antwortete Verrol.
Die Zeit verging. Astor setzte sich anders hin, um eine bequemere Stellung auf den Deckenbalken einzunehmen. Wie Verrol vorausgesagt hatte, gewöhnte sie sich mit der Zeit an den Smoggestank. Der Geruch war nach wie vor unangenehm, aber das Würgen war verschwunden. Sein Halstuch hatte sie ihm zurückgegeben.
Schließlich kehrten auch die Dienstmänner in der blau-goldenen Livree zurück. Als das Tor geöffnet und geschlossen wurde, konnte Astor sehen, dass die Nacht hereingebrochen war.
»Sie blasen die Suche ab«, gab sie hoffnungsvoll von sich.
»Nur weil es dunkel geworden ist«, sagte Verrol. »Morgen früh wird es weitergehen.«
Sie warteten noch weitere fünf Minuten, dann machten sie sich vorsichtig an den Abstieg von den Deckenbalken. Verrol öffnete das Tor gerade so weit, dass sie hindurchschlüpfen konnten. Draußen standen zwei Gaslaternen, in deren Lichtkegel ätzender gelber Smog waberte.
»Weg vom Licht!«, zischte Verrol und zog sie am Arm.
Astors Bewegungen setzten die Schwaden in strudelnde Bewegungen, die ihr nun wie eine zweite Haut anhafteten – undurchdringlicher und stinkender, als sie es für möglich gehalten hätte. Schnell hielt sie ihre Hand über Mund und Nase.
Außerhalb des Lichtscheins verschwamm die Welt in unklare Formen und Schatten. Sie konnte nicht einmal bis zur anderen Straßenseite sehen. Die Straße entlang standen weitere Gaslaternen, deren Licht einfach in der Luft zu schweben schien. Sie tasteten sich eilig an der Wand eines Gebäudes entlang, dann ließ Verrol Astors Arm plötzlich los und verschwand in einer engen Gasse.
»Folge mir«, rief er ihr über seine Schulter zu.
Sie liefen unter gewölbten Brücken hindurch, die sich über ihren Köpfen von einem Gebäude zum anderen streckten. Es wurde dunkler und dunkler, je weiter sie vorankamen, bis Astor den Eindruck hatte, dass sie sich unter der Erde fortbewegten. Sie hielt ihre Arme vor sich gestreckt, um unvorhergesehene Hindernisse zu ertasten, und stieß in Verrols Rücken.
In etwa fünfzehn Metern Entfernung wurde es ein kleines bisschen heller, das Ende der Gasse lag vor ihnen.
»Wohin gehen wir?«, fragte sie.
»Weg aus dieser Gegend. In diesen großen Häusern leben die Reichen.«
»Wir gehen in ein Armengebiet?«
»Ins ärmste. Slumtown.«
Das hörte sich für
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