Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Song of the Slums

Song of the Slums

Titel: Song of the Slums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harland
Vom Netzwerk:
vorbei, an Holzbohlen, gespanntem Sackleinen und Segeltuch, an Maschendraht und einem Tohuwabohu von Möbelteilen. Astor konnte nicht unterscheiden, ob es sich um menschliche Behausungen oder nur um Gerümpel handelte. Alles schien wie Kraut und Rüben über- und nebeneinander gestapelt worden zu sein. Die Vorstellung, in so etwas zu leben, ließ sie erschaudern.
    »Wie stoßen wir denn auf die Gangs?«, fragte sie. »Oder gehen wir zu einer bestimmten Stelle?«
    »Nein. Während der Nacht bleiben sie unsichtbar. Außerdem werden wir nicht auf sie treffen, bis sie es wollen.«
    Die einzigen Menschen, die sie ausmachen konnten, waren die Ärmsten der Armen unter den Slumbewohnern: kleine Jungen, die mutterseelenallein in den entlegensten Ecken kauerten; ein Mädchen in Lumpen, das aufsprang und davonlief, als sie sich näherten. Die einzigen Geräusche, die sie vernahmen, waren das Huschen von Nagetieren und – einmal – das Miauen einer Katze. Dann lag ein Geruch nach Essen in der Luft, doch Verrol weigerte sich, nach der Quelle dieses Geruchs zu suchen.
    Zehn Minuten später spitzte er plötzlich die Ohren: »Hörst du das?«
    Astor hörte es. Ein gleichförmiger trommelnder Rhythmus, wie der gleichförmige Rhythmus der Fabrikgeräusche.
    »Was ist das?«
    »Musik natürlich. Gangmusik.«
    »Können wir dahin?«
    »Wir können’s versuchen.«
    Sie bewegten sich auf die Musik zu, wobei sie Gruben voller Alteisen sowie Berge aus Gemüseabfällen umgehen mussten. Für Astor klang es eigentlich nicht wie Musik, was sie da hörte, obgleich sie nach einiger Zeit Spuren von Melodien wahrnahm.
    Zuletzt erreichten sie einen Hochwasserkanal, drei Meter tief und sechs Meter breit, der trocken lag – es gab nur ein paar schlammige Stellen. Astor sah hinunter und erblickte eine Gruppe von Leuten, die sich um ein Kohlefeuer versammelt hatten, das in einer durchlöcherten eisernen Mülltonne brannte. In dem flackernden roten Licht des Feuers sahen sie kaum wie Menschen aus. Ihre Garderobe bestand aus einer unfassbaren Zusammenstellung verschiedenster Kleidungsreste: Waffenröcke aus Moleskin, wollene Umhänge, Lodenpaletots, Flanellwesten, Wickelgamaschen aus Filz. Astor war sich auch sicher, Reste von Bettdecken, Gardinen und Tischtüchern zu erkennen. Viele dieser Gewänder wurden von verwebten Bindfäden und gestricktem Flickwerk zusammengehalten.
    Noch bizarrer war aber ihr Schmuck. Sie trugen Eisenbolzen in den Ohren, Messingketten als Halsschmuck, Gummiriemen als Armbänder und Zähnräder und Eisenfedern als Broschen und Medaillons. Die polierten Metallteile waren das Sauberste an ihnen.
    Verrol teilte Astors Staunen nicht; er hatte seine Augen vielmehr auf die Musiker gerichtet, die neben der Menschengruppe standen und spielten.
    »Siehst du die Instrumente?« Er zeigte auf jedes einzelne der Reihe nach. »Blechgitarre. Strumgitarre. Klapper und Schellenkranz. Drums.«
    Astor folgte seinem Zeigefinger. Die Drums waren kleine Fässer, Kessel und Büchsen, teilweise auch umgedrehte Kochtöpfe; die Gitarren wiederum ähnelten keinem Instrument, das sie je gesehen hatte. Die Hälse waren aus Eisenrohren gemacht, die Bundstäbe waren als Kupferstäbchen in dieses Griffbrett eingelassen. Statt eines hölzernen Korpus hatten sie Resonanzkörper aus einem plattgeschlagenen Blecheimer oder einem monströsen Messinghorn. Sie hatten nicht einmal die normale Anzahl von Saiten; die eine hatte fünf, die andere acht.
    »Keine Musikinstrumente«, rief sie aus. »Kein Wunder, dass sie nicht richtig klingen.«
    »Sie klingen genau so, wie sie klingen sollen. Es dauert hunderte von Stunden, diese Instrumente zu bauen und so zu stimmen, dass sie für Gangmusik gerade richtig sind.«
    Sie dachte noch über diese Informationen nach, als der Song endete. Die Musiker warfen ihre Arme in die Höhe, und die Menge jubelte ihnen schreiend zu. Dann legten die Musiker ihre Instrumente beiseite, und die Menge sammelte sich um sie herum; alle lachten und redeten durcheinander.
    Astor drehte sich zu Verrol. »Und an wen müssen wir uns wenden, um eintreten zu können?«
    »Nee, nee, so funktioniert das nicht. Eine Gang lässt dich nur dann eintreten, wenn du etwas beizusteuern hast. Wir müssen sie für uns gewinnen.«
    »Na toll! Und wie sollen wir das machen?«, zischte sie mutlos zurück.
    Er zeigte auf die Musikgruppe. Jetzt hatte ein anderes Gangmitglied sich die Strumgitarre geschnappt, während der Drummer und der Blechgitarrist sich zu einem

Weitere Kostenlose Bücher