Song of the Slums
Betten.
So weit so gut. Das Team duckte sich und ging im Gänsemarsch zum hinteren Teil des Wagons. Hier, über den Puffern, befand sich eine Eisentreppe, die auf das Dach des Wagons führte. Hink stieg als erster hoch, die anderen folgten. Das Dach war in der Mitte fast flach, fiel aber zu den Seiten in Richtung einer ein bis zwei Zentimeter breiten Regenrinne ab. Verrol machte sich auf Zehenspitzen gleich auf den Weg ans andere Ende des Wagons. Er musste herausfinden, ob der zweite Wagon schon abgekoppelt worden war.
Astor blieb bei den anderen. Sie kniete sich hin und hielt ihr Ohr ans Wagondach. Im Inneren hatten die Milizionäre begonnen, sich gegenseitig anzuschreien, offenbar stritten sie sich wegen des Kartenspiels. Besser ging es nicht!
Inzwischen hatte das zweite Team den dritten Wagon erreicht und kletterte nun mit den erbeuteten Flaggen und Seilen unter den Armen die Eisenleiter hinauf auf das Wagondach, wo die anderen es erwarteten. Und kaum waren alle oben, begann Verrol auch schon Zeichen zu geben. Er war Zeit für den nächsten Teil der Operation. Das Team mit den Flaggen begab sich in Position über den Türen an jedem Ende des Wagons. Für Astor, Shannet und Hink blieb im Moment nichts zu tun, als sich beiseite zu halten.
Verrol hatte die Kupplung zwischen dem zweiten und dritten Wagon fest im Auge. Astor konnte zwar nichts sehen, aber sie stellte sich vor, wie das Team den dritten Wagon abgekoppelt hatte, und nun mit den Schultern gegen den Puffer des dritten Wagons drückten.
Schiebt, ermunterte Astor die anderen innerlich. Schiebt, schiebt, schiebt!
Lange Zeit geschah nichts, doch dann, mit einem ganz leisen Quietschen, fing der Wagon an sich zu bewegen. Zentimeter für Zentimeter. Verrol lief auf Zehenspitzen – und mit ausgestreckten Armen, um die Balance zu halten – auf dem Dach wieder auf sie zu. Jetzt bewegte der Wagon sich langsam, aber gleichmäßig.
Die Milizionäre im Inneren schrien sich noch immer an. Der Wagon nahm nun Fahrt auf, erst Schrittgeschwindigkeit, aber bald schon doppelte Schrittgeschwindigkeit. Die Gleise schienen leicht bergab zu verlaufen. Die beiden anderen Wagons verschwanden im Smog.
Astor merkte, dass das Geschrei allmählich nachließ … es gab noch ein paar fragende Ausrufe und einige Flüche. Lange konnte das nicht gut gehen. Aber sie hatten das Ende der Gleise fast erreicht. Sie gingen auf alle Viere und stützen sich so gut wie möglich wegen des baldigen Aufpralls ab. Mit einem dumpfen Knall rumsten die Puffer des Wagons gegen den Prellbock am Ende der Strecke.
Aus dem Abteil hörte man wütendes Geschrei der Milizionäre. Der Aufprall hatte sie offenbar kalt erwischt. Die Teammitglieder mit den Flaggen kamen geräuschlos auf die Beine, entrollten die Fahnen und hielten sie ausgebreitet vor sich. Im nächsten Moment wurden die Wagontüren geöffnet, und Köpfe schauten heraus.
»Was war das?«
»Wo sind wir?«
»Wieso haben wir uns bewegt?«
Astor zählte, als ein Milizionär nach dem anderen zu Boden sprang. Eins, zwei, drei, vier, fünf. Sie suchten die Gegend in jeder Richtung mit den Augen ab – nur nach oben blickten sie nicht. Als der sechste Mann heraussprang, setzten sich die Mitglieder des Flaggenteams in Bewegung. Sie warfen sich in die Luft wie große schweigende Vögel. Mit einem wie Flügel ausgebreiteten Union-Jack segelte jeder von ihnen hinunter auf sein ausgewähltes Opfer.
Die Milizionäre wussten gar nicht, was mit ihnen geschah, als die Fahnen ihre Köpfe bedeckten. Man hörte ihre gedämpften Schreie, während sie hilflos zappelten, dann niedergeschlagen und über den Boden gerollt wurden, bis sie vollständig in die Flaggen eingehüllt und mit den Seilen verschnürt waren. Das Abkopplungs-Team war inzwischen dazugestoßen und half den anderen, ihre Aufgabe zu Ende zu bringen.
Astors Aufgabe wiederum begann gerade erst. Sie folgte Verrol, der vom Dach rutschte und sich durch die offene Tür schwang. Aber sie hatte die Türweite falsch eingeschätzt und knallte mit dem Knie gegen den Türrahmen. Einen Moment lang konnte sie nicht weiter. Sie gab Hink und Shannet ein Zeichen, an ihr vorbeizugehen, und beide stießen vom Vorraum durch eine Schiebetür ins Innere des Wagons vor. Astor rieb sich das Knie, bis der Schmerz nachließ und sie hinter den anderen herhumpeln konnte.
Die Luft hinter der Schiebetür war schal und abgestanden, es roch nach Tabak und ungewaschener Kleidung. Umgeworfene Stühle gaben Zeugnis vom
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