Song of the Slums
und Astor in ihrem typischen Slumtown-Outfit nicht den geringsten Eindruck auf die beiden. Mave lehnte alles ab, was die beiden vorschlugen, bis auf einen knallroten Lippenstift, der ihren Mund wie eine tiefe Schnittwunde aussehen ließ. Und Astor erlaubte der Frisiererin zwar, ein paar Wellen in ihr Haar zu legen, bürstete sie hinterher aber wieder aus. Doch sie ließ sich zu Lippenstift und ein wenig Rouge überreden: »Sonst kann das Publikum dein Gesicht im Rampenlicht doch gar nicht sehen, Schätzchen.«
Nachdem das erledigt war, untersuchten Astor und Mave ihre Garderobe genauer und machten sich dann zu den anderen auf. Die waren in Ollifers Garderobe versammelt, nicht nur Verrol und Purdy, sondern auch die Frisiererin und die Visagistin. Bei Ollifer war die Make-up-Frau in ihrem Element und konnte sich endlich austoben, das entschädigte sie für das Desinteresse der übrigen Bandmitglieder.
Es passte Astor gut, dass sie alle zusammen waren, denn sie wollte nicht, dass jemand merkte, dass sie Verrol aus dem Wege ging; ebenso wenig wollte sie mit ihm allein in einem Raum sein. Dann platzte Reeth mit einem besorgten Gesichtsausdruck herein.
»Ich hab mir mal den Zuschauerraum und das Publikum angesehen«, verkündete er. »Und das gefällt mir nicht.«
»Wieso? Was ist?«, fragte Ollifer. »Leere Plätze?«
»Nein, es ist gerammelt voll. Es ist nur die Art, wie die gekleidet sind, alle Männer mit Fliege, die Frauen mit Juwelen und Pelzen. Furchtbar edel und elegant.«
»Potentielle Anhänger, was?« antwortete Purdy mit einem Schulterzucken. »Du hast gesagt, es würde ein Kinderspiel.«
»Vielleicht habe ich dass zu früh gesagt.« Reeth sah jetzt noch besorgter aus. »Diese Leute sind anders. Die erwarten definitiv keine Gangmusik, das ist klar.«
»Was willst du damit sagen?«, fragte Verrol.
»Es wäre furchtbar, wenn die Band durchfallen würde, jetzt, wo wir soweit gekommen sind.«
»Soll heißen?«
»Vielleicht könntet ihr den Gangmusik-Teil ja ein bisschen runtertunen. Nicht ganz so roh und hart, weniger aggressiv.«
»Gangmusik ist kein
Teil
unserer Musik«, sagte Mave. »Das ist es, was wir spielen.«
»Ihr könnt ja auch anders spielen. Wie bei deinem Lovesong.« Reeth flehte geradezu, seine frühere Zuversicht war komplett verschwunden. »Nur ein bisschen runtertunen, um mehr bitte ich euch ja gar nicht. Langsamer und sanfter.«
Angesichts von Reeths Verzweiflung verspürte auch Astor einen Anflug von Zweifel. Konnte es wirklich sein, dass sie durchfielen?
In dem Moment klopfte es an der Tür, und Fosserby steckte seinen Kopf in die Garderobe. »Noch drei Minuten«, sagte er.
• 56 •
Das Publikum war genau so, wie Reeth es beschrieben hatte. In den ersten Reihen trugen die Damen Colliers, Diademe und aufwendige Frisuren, die Gentlemen waren in Frack, Kummerbund und gestärkte weiße Hemden gekleidet. Viele der Damen hatten Operngläser bei sich, die Männer Monokel.
Weiter hinten verschwammen die Gesichter zu kleinen blassen Flecken, die sich von Rang zu Rang erhoben. Der Zuschauerraum war ungeheuer groß, seine Kuppeldecke wurde von gebogenen und filigran verzierten gusseisernen Trägern gestützt. Astor nahm zwar die vergoldeten Logen und die Kristalllüster verschwommen zur Kenntnis, doch als sie sich der Menschenmasse wirklich bewusst wurde, nahm sie nichts mehr wahr.
Die anderen Bandmitglieder trugen ihre Instrumente auf die Bühne; Astors Drums waren schon aufgebaut. Operngläser und Monokel spiegelten das Licht wider und waren auf sie gerichtet, als sie ihren ersten Song anstimmten. Und sofort nahmen sie ein neues Problems wahr: die Akustik im Zuschauerraum.
Es gab keinen wie auch immer gearteten Hall. Die Luft schien die Töne einfach zu schlucken. Es war, als spielten sie vor einer Wand aus Watte.
Das Publikum war auch wie Watte. Es lauschte mit höflicher Aufmerksamkeit und am Ende des ersten Songs applaudierte es höflich.
Zumindest hören sie zu, dachte Astor. Besser als Buhrufe und Pfeifkonzerte.
Doch nach dem dritten Song wären ihr Buhrufe und Pfeifkonzerte lieber gewesen. Wenigstens eine Reaktion! Stattdessen hörte sich der höfliche Applaus nach jedem Song haargenau so an wie der vorherige. Es war unheimlich und entnervend. Nichts, was sie taten, hinterließ irgendeinen Eindruck.
Die Band hatte nicht entschieden, die Musik herunterzutunen, aber unbewusst folgte sie Reeths Vorschlag trotzdem. Ollifers Gesangsstil war sanfter; Purdys Gitarrensound ebenso;
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