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Song of the Slums

Song of the Slums

Titel: Song of the Slums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harland
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Mave und Astor spielten sehr kontrolliert; Verrol hatte das Tanzen aufgegeben. Doch auch das alles machte keinen Unterschied: Das Publikum war weiterhin aufmerksam, aber unbeeindruckt.
    Und weil sie sich nicht in die Musik fallenlassen konnte, verlor die Band alle Spontaneität. Mave blies im fünften Song zwei Noten falsch, beim sechsten Song verhaspelte sich Ollifer beim Singen, und dann setzte selbst der unerschütterliche Purdy bei einem Solo zu spät ein. Astor hielt aber weiterhin alle zusammen – bis zum achten Song – dann schoss sie den größten Bock von allen.
    Der Song war
Down in the Channel
, normalerweise ein Stück, das immer stärker wurde, langsam, aber sehr eindringlich. Doch inzwischen hatte ihr Spiel alle Kraft verloren. Als sie halb durch den Song waren, sah Astor zur Seite und bemerkte Reeth hinter dem Vorhang, sein Gesicht ein Bild der Verzweiflung.
    Seine Träume zerplatzen, dachte sie. Die Rowdys konnten ihre potentiellen Anhänger nicht für sich gewinnen, die Swale-Brüder würden sie fallenlassen, und sie würden nie wieder in London auftreten. Misserfolg war nicht mehr nur eine Möglichkeit, sondern zur Gewissheit geworden. Der Gedanke verursachte ihr Magenkrämpfe und lenkte sie vom Drummen ab. Sie kam aus dem Takt, verpasste die nächsten zwei Beats und verfiel dann in den Rhythmus eines vollkommen anderen Songs.
    Ihr falscher Rhythmus brachte alle aus dem Takt. Es gab einen Moment vollkommener Dissonanz. Jedes Instrument war auf der eigenen Suche nach dem richtigen Rhythmus, und jeder zerrte den Song in eine andere Richtung, bis alle das Spielen einstellten. Absolute Stille.
    Sie blickte auf. Die Bandmitglieder starrten sie schockiert und gleichzeitig anklagend an. Sie fühlte, dass jedes einzelne Auge des gesamten Publikums auf sie gerichtet war. Sie schüttelte den Kopf und wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen. Aber irgendetwas in ihr rebellierte gegen die Tränen. Sie hatte genug davon, für ein Publikum zu spielen, das sich nicht mitreißen lassen wollte. Es hatte die Rowdys nicht verdient. Umso schlimmer für sie!
    »Wir spielen für uns!«, rief sie der Band zu. »
Nur für uns!
«
    Mave verstand sofort, was sie meinte. Sie drehte sich mit dem Gesicht zu Astor und dem Rücken zum Publikum.
    »Ja!«, schrie Astor. »Los! Ignoriert sie! Lasst uns
kämpfend
untergehen!«
    Sie schlug den Takt von
Where Nobody Goes
an. Auch Verrol und Purdy kehrten dem Publikum den Rücken zu. Diese Beleidigung machte mehr Eindruck als ihr bisheriger gesamter Auftritt. Ein feindliches Gemurmel ließ sich im Zuschauerraum vernehmen, und einige Gentlemen erhoben sich von ihren Sitzen. Dieses Publikum gehörte nicht zu den Leuten, denen jemals jemand den Rücken zukehrte.
    Astor grinste. Das gefällt denen nicht, dachte sie, und mir gefallen die nicht. Gut. Dann sehen wir mal zu, wie schnell wir den Zuschauerraum leeren.
    Verrols Einsatz kam auf die Sekunde genau, ebenso der von Mave und dann der von Purdy. Jetzt gab es kein Runtertunen mehr. Nun spielten sie ihre Musik, wie sie gespielt werden musste: laut und brutal und dreckig. Nur Ollifer war dem Publikum zugewandt, aber auch er sang nun wieder in seinem echten Stil.
    Jetzt spielten sie nur noch für ihren eigenen Stolz und zu ihrem eigenen Vergnügen, beobachteten, was die anderen machten, nahmen Dinge davon auf, fügten etwas Neues hinzu und spornten sich gegenseitig zu immer größeren und größeren Höhen an. Es war gleichzeitig wahnsinnig und perfekt – die Spontaneität einer Probesession gepaart mit der Intensität eines Bühnenauftritts. Sie hatten ihre Gehemmtheit überwunden und warfen sich nun ganz und gar in die Musik, und die Musik trug sie und riss sie mit sich. Niemals bisher hatte sich Gangmusik so roh und wild angehört.
    In dem Moment, in dem
Where Nobody Goes
zuende war, fielen sie sofort in einen anderen Song; Astor hörte, wie Ollifer schrie:»Es funktioniert!« Sie hatte keine Ahnung, wovon er sprach, aber sie merkte, wie er sich beim nächsten Song die Seele aus dem Leib sang.
    Verrol tanzte und wirbelte seine Klapper wie ein Verrückter, Mave hüpfte hin und her, und selbst Purdy bewegte sich im Rhythmus. Er spielte einen speziellen Riff, den die anderen übernahmen und ein ums andere Mal wiederholten: Sie verdrehten ihn, streichelten ihn, rissen an ihm und quälten ihn, und von Mal zu Mal wurde er disharmonischer.
    Wir werden den Zuschauerraum leeren, frohlockte Astor. Sie raustreiben, ihre Trommelfelle

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