Sonne, Meer und Bea (German Edition)
Sie seien schließlich kein Hotel, sondern ein Gasthaus der Sri Aurobindo-Gesellschaft.
»Ja, das wissen wir doch. Deshalb sind wir schließlich hier. Wir mögen die Ideen von Sri Aurobindo und „der Mutter“. Und die friedliche Atmosphäre.«
Bei den Worten von Paul fällt mir die Kinnlade hinunter. Was redet er denn von friedlicher Stimmung, wo die Dame uns augenscheinlich wie den letzten Abschaum behandelt?! Eigentlich bin ich verärgert und würde am liebsten ein anderes Hotel aufsuchen, aber dieses Gasthaus hat einfach eine traumhafte Lage und ist die einzige erschwingliche Unterkunft direkt am Meer. Dafür nehme ich gerne die strengen Regeln in Kauf. Keinen Alkohol, kein Fernseher, Zapfenstreich um 10 Uhr abends. Das Rauchverbot kommt uns sogar sehr entgegen und schließlich suchen wir ja tatsächlich Entspannung und Erholung. Da ist die spirituelle Atmosphäre bestimmt förderlich.
Ich halte meinen Mund und lächle debil vor mich hin.
Die Schmeichelei von Paul bringt tatsächlich den gewünschten Erfolg. Die Frau schaut nun in ihrem Computer nach. Sie scheint zu überlegen und mustert uns zweifelnd. Schließlich ringt sie sich durch und macht uns ein Angebot: Wir bekommen ein Zimmer zum Meer hinaus, aber im Erdgeschoss. Wir blicken nur auf eine Mauer, hinter der das Meer zu vermuten ist. Und wir müssen eine weitere Stunde darauf warten.
» Wonderful !« Paul bedankt sich charmant, doch die Antwort ist nur ein eisiger Blick.
Wir lassen uns auf dem Rasen der gepflegten Gartenanlage nieder. Eine grüne Wiese mit angelegtem Wasserlauf und Steinfiguren. Ein herrlicher Ort. Hier können wir sicherlich zur Ruhe kommen. Ich lobe Paul für seine erfolgreiche Zimmerverhandlung und er freut sich sichtlich. So habe ich ihn lange nicht strahlen sehen. Ich frage mich, wie weit die letzte wirklich freundliche Äußerung meinerseits zurückliegt und mir tut meine schlechte Laune der vergangenen Tage leid. Ich würde mich gerne bei Paul entschuldigen, aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt.
Unser Zimmer ist leider wirklich keine Offenbarung. Es gibt zwei schmale einzelne Betten, die aufgrund ihrer Moskitonetz-Halterungen nicht zusammengeschoben werden können. Gegenüber der Betten prangen zwei große Porträts von Sri Aurobindo und „der Mutter“, seiner spirituellen Begleiterin. Falls uns die getrennten Betten nicht vom weltlichen Vergnügen abhalten, sollen uns deren Blicke wohl in zweiter Instanz vor einer Verunreinigung unserer spirituellen Suche bewahren.
Apropos weltliches Vergnügen: Ich habe Hunger! Wir gehen in die Kantine des Gasthauses und bestellen aus dem überschaubaren Angebot Omelette mit Brot und Lassi. Das Essen ist ganz ordentlich und die junge Frau, die uns bedient, freundlich. Sie sitzt, wenn sie nicht gefordert ist, mit ihrer Kollegin ganz hinten in der Ecke des Raumes auf dem Boden. Die Stimmung in der Kantine ist bedrückend. Und obwohl Aurobindo von der Liebe seinen Mitmenschen und der Natur gegenüber gesprochen hat, wie mir eine kleine Broschüre und Sprüche, die überall hängen und auf Tischkarten stehen, verraten, empfange ich atmosphärische Störungen. Die europäischen Gäste sitzen weit über den Raum verteilt. Ein belebender Austausch, wie ich ihn mir hier vorgestellt habe, findet nicht statt. Wer hierher kommt, um Harmonie und Liebe zu finden, wird sicher enttäuscht. Auch die Kommunikation mit den indischen Angestellten ist weit entfernt von gleichgestellter Freundschaft. Eine knappe Bestellung, kein Lächeln. Ich frage mich ernsthaft, ob irgendjemand der Anwesenden die Schriften von Aurobindo überhaupt gelesen hat.
Wir flüchten in die Stadt. Pondicherry ist unheimlich schön. Die Häuser sind hübsch hergerichtet und der französische Charme nicht zu übersehen.
Wir finden ein nettes Café. Dort gibt es alles, was das französische Herz begehrt: Baguette, Croissants, verschiedene Kaffeevariationen, Pasteten, Kuchen und Kekse. Wir können nicht widerstehen. Zwei „Danish Choco“ landen auf unserem Tablett, mit dem wir zur Kasse gehen. Als sie bezahlt sind, setzen wir uns an den einzigen freien Tisch. Der Laden ist gut gefüllt. Das Publikum an den Nachbartischen erinnert an unsere Unterkunft. Viele sehen in ihren Gewändern mit verklärtem Blick nach Sinnsuchern aus, die das einfache Leben im Ashram wohl doch nicht aushalten und immer mal wieder eine Pause mit vertrautem Essen einlegen müssen. Wahrscheinlich jeden Tag. Die übrigen Gäste sind jüngere Leute,
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