Sonne, Schnee und Tote
zu jener Zeit,
obwohl heute bekannt ist, dass diese Art der körperlichen Misshandlung bereits
Jahrhunderte zuvor in den arabischen Ländern ausgeführt und perfektioniert
wurde. Vermutet wird, dass die Mauren, das Wissen darüber mit nach Spanien
brachten. Die Inquisition hat nach der Vertreibung des Moslems aus Spanien
daraus nur einen Schuh gemacht, der ihr in den Kram passte …“
„Können
Sie bitte zum Punkt kommen? Ihre unerschöpfliches Wissen geschichtlicher
Tatsachen in allen Ehren, Doc, aber ich habe noch nicht gefrühstückt“, fuhr
Fred dazwischen. Seiner Stimme merkte man deutlich an, dass ihn all das nicht
interessierte und dass er sich nicht im Geringsten darum scherte, was Van
Houden darüber denken mochte. Man brauchte kein Genie zu sein, um zu erraten,
dass Fred die Erniedrigung der Degradierung unter keinen Umständen weiter
ertragen wollte. In letzter Konsequenz bettelte er mit seinem Verhalten
geradezu, um den Rauswurf aus den laufenden Ermittlungen.
Statt
auf die neuerliche Provokation einzugehen, schüttelte der Hauptkommissar
entgegen Freds Hoffnung nur den Kopf, murmelte: „Darüber sprechen wir später
noch, Maartens“ und ergänzte etwas deutlicher. „Lassen Sie sich nicht
irritieren, Doktor Houlsten. Wir hören Ihnen zu.“
Der
Mann nickte.
„Da
Jesus unter Schmerzen am Kreuz starb und wieder auferstand, glaubte man, dass
Menschen, denen man mit Weihwasser gesegnete Nägel in den Körper trieb, von
ihren Dämonen verlassen wurden und ihr sündiges, gotteslästerliches oder
häretisches Verhalten vor Gericht gestehen würden. Das Entscheidende bei dieser
Methode ist, sicherzugehen, dass der Gefolterte durch die Einschläge nicht
vorzeitig verstirbt. Um das zu vermeiden, gibt es seit dem späten Mittelalter
genaue Abbildungen. Damals waren es Pergamentzeichnungen mit Körperpunkten, die
mit großer Wahrscheinlichkeit durchbohrt werden konnten, ohne dabei tödlich zu
sein. Wenn man so will, ist dies damals eine Wissenschaft für sich gewesen.
Pervers aber effektiv. Es gibt Dokumente, die belegen, dass Menschen über Tage
mit immer mehr Einschlägen gepeinigt wurden, ehe sie schließlich doch starben.
Nachdem der Wahnsinn um die Inquisition irgendwann abgeebbt war, verschwanden
für lange Zeit auch jegliche Spuren des Largo Sufrimiento . Bis die
Foltermethode schließlich im letzten Jahrhundert in den Ländern Südamerikas
wieder auftauchte. Vor allem die dortigen Despoten und Diktatoren haben die
Methode benutzt, um Gegner und Opposition zu drangsalieren. In neuerer Zeit
hört man immer wieder in Mexiko - im Zuge der Drogenkriege - von der
Foltermethode.“
Doktor
Houlsten machte eine Pause und schaute sich um. Die Aufmerksamkeit richtete
sich trotz des weiter vorhandenen monotonen Singsangs seiner Stimme, Fred
ausgenommen, auf ihn. Er verzog die Mundwinkel und schien zufrieden. Vermutlich
kam er nicht allzu häufig dazu, über seine Erkenntnisse dozieren zu dürfen.
Dieser Vortrag war somit ein absolutes Novum für einen Mann, der den Hauptteil
seiner Zeit damit verbrachte, Leichen zu begutachten, bei Genehmigung und
Notwendigkeit innere Körperbeschauen durchzuführen, um daraus im Nachhinein Berichte
für Polizei und Staatsanwaltschaft anzufertigen. Denn eins stand fest: Bei
diesem Beruf blieb sicher nicht viel Zeit für ausschweifende Reden und wenn,
dann waren seine einzigen Zuhörer vornehmlich die zu untersuchenden Toten auf
dem Seziertisch, mit viel Glück einmal einer der Kollegen.
Jedenfalls
blühte Maarten Houlsten, Gerichtsmediziner im Dienste der Rotterdamer Justiz,
für seine ziemlich verklemmt anmutende Art in diesen Minuten wahrhaft auf.
„Also
dann, um nicht noch weiter abzuschweifen und den Brückenschlag zu unserem Fall
hinzubekommen, lasse ich die geschichtlichen Fakten damit ruhen und beziehe
mich wieder auf das, was wir vorliegen haben und was eher meinem Fachbereich
entspricht. Man sieht, dass die Nägel in Reihe in einem geradlinigen Muster
gesetzt wurden. Vor allem am Oberschenkel ist die Gefahr groß, die großen
Arterien zu treffen, was binnen kurzer Zeit zum Tod durch inflationären
Blutverlust führen kann. Dies ist nicht geschehen. Das kann natürlich noch
Zufall sein. Betrachtet man jedoch die Reihe der Einschüsse im Brustbereich,
stellt man fest, dass hier so exakt gearbeitet wurde, dass weder die Lunge noch
herznahe Gefäße gravierende Beschädigung erlitten haben. Das legt nahe, dass
hier der oder die Peiniger genau wussten, wo und in
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