Sonne, Schnee und Tote
der Brust.
„Wer
sagt denn, dass Imar seitdem spurlos verschwunden ist? Und wurde bei dem Toten
nich‘ so ein schneeballähnliches Zeug gefunden?“
Kees
hob die Augenbrauen.
„Bevor
du fragst. Nicolas hat mich angerufen, als du schon auf dem Weg zu mir warst.
Er hat mir alles erzählt, zumindest seine Version der Geschichte. Ich weiß also
ganz gut Bescheid.“
„Also
ist Imar nicht verschwunden? Wo ist er dann?“
„Ich
hab ihn länger nich‘ gesehen, aber zuletzt trieb er sich in Rotterdam rum. Is‘,
soweit ich weiß, bei Petr Stojic in Lohn und Brot, wenn man das so nennen kann,
bei den Gaunereien, die da laufen.“
„Woher
weißt du das?“
„Ach,
mein Junge, ich dachte, ich hätt‘ dir wirklich mehr beigebracht, als leidiges
Fragenstellen in Surveillantmanier.“
„Schluss
mit dem Schwachsinn!“, donnerte Kees plötzlich. Ihm ging es gewaltig gegen den
Strich, dass er wieder behandelt wurde, wie ein Sechzehnjähriger.
„Nun
denn, dann fang an dein Hirn einzuschalten, Junge“, erwiderte Bert, löste die
Verschränkung vor seiner Brust und legte die Hände lässig im Schoß zusammen.
„Ich
habe das Gefühl, ihr wollt mich alle auf den Arm nehmen. Van Houden sagt
nichts, dieser Hadosh schweigt sich aus und selbst du versuchst, mich für dumm
zu verkaufen.“
„So
schlimm ist es auch wieder nicht. Kommst du wirklich nich‘ allein drauf,
Junge?“
Kees
fing seinen hämmernden Puls und sein immer mehr durchgehendes Temperament
wieder ein und versuchte zeitgleich ein paar logische Schlussfolgerungen zu
ziehen. Bert musterte ihn und sagte nichts weiter.
Bloemberg
wusste, dass Bert bis zu seinem angetretenen Ruhestand gute Kontakte ins
Sozialamt und bis ins Ministerium hinein gehabt hatte. Er wusste auch, dass Van
Helig, nicht nur durch seine Kontakte zu Nicolas van Houden und Fred Maartens,
beste Informationsquellen im Polizeibereich besaß. Bert war seit jeher einer
gewesen, der gerne über die aktuellen Brennpunkte in der Stadt informiert war,
vor allem, wenn es dabei um Kinder und Jugendliche ging. Er hatte in seiner
aktiven Zeit Tag ein Tag aus für das Wohlergehen dieser so häufig
benachteiligten Kinder gekämpft und versucht, das Beste aus einer zerfahrenen
Situation zu machen. Nur erschloss sich Kees trotz dieses Wissens immer noch
nicht, wieso Bert wusste, wo sich Imar aufhielt oder aufgehalten hatte. Doch
dann plötzlich kam ihm die Lösung, als habe sie die ganze Zeit vor seiner Nase
gehockt und darauf gewartet, dass er sie entdeckte.
„Du
hast ihn bei dir behalten, stimmt‘s?“
Bert
schüttelte den Kopf.
„Blödsinn.
Nicolas wär‘ mir schneller auf die Schliche gekommen, als mir lieb gewesen
wär‘. Nein, ich hab ihn nicht bei mir behalten.“
„Aber
du wusstest, wohin es ihn verschlagen hat.“
„Freilich,
ja. Das war nicht schwierig. Er war zu der Zeit Siebzehn und hatte keine
näheren Verwandten in Rotterdam und Umgebung. Also is‘ er zu Stojic und der hat
ihm Unterschlupf gewährt. Ich hab‘ ihn, ein paar Monate nach der Adoption
Namirs, im Hafen getroffen. War kein unangenehmes Wiedersehen. Er hat nach ner
ziemlich lautstarken Diskussion eingesehen, dass ich
auf die Adoptionsentscheidung keinen Einfluss hatte. Er hat mir geglaubt und
mich am Ende gebeten, weder dem Hauptkommissar noch seinem Bruder was zu sagen.
Und weil ich wusste, dass er niemals zu Hadosh gegangen wär‘, hab ich den Mund
gehalten. Zwar hab‘ ich ihm deutlich gesagt, dass Stojic nicht gut für ihn sei,
aber ich konnte ihn nicht überzeugen. Ein paar Mal haben wir uns danach noch
gesehen. Er hat keinen Schulabschluss gemacht, aber Stojic hat ihn bei ner
Touristentour-Klitsche untergebracht. Als ich aus Rotterdam wegzog, hat er
angefangen, die Bootstouren durch den Hafen zu kommentieren. An meinem letzten
Tag in der Stadt hab‘ ich eine mitgemacht. Er war kein talentierter
Touristenführer, aber einigermaßen solide. Als die Tour zu Ende war, hat er mir
stolz erzählt was er verdiente und dass er auf diese Weise ein Auge auf seinen
kleinen Bruder werfen könne. Ich hab das zuerst nicht verstanden, aber dann
erklärte er mir, dass seine Tour an der Nord-Westseite des Wilhelmina-Piers
vorbei führte, keine fünfzig Meter von Hadoshs Lagerhaus entfernt. Ob sich
Namir in der Zeit tatsächlich oft dort aufgehalten hat, kann ich nich‘ sagen.
Soweit ich weiß, hat Hadosh ihm eine ordentliche Schulausbildung zukommen
lassen. Er wird also häufiger in der Schule gewesen sein, als
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