Sonne über Wahi-Koura
vor den Mund, um einen Schrei zu unterdrücken.
Die Heilerin kroch nun unter dem Tuch hervor und reichte Louise einen kleinen Beutel, den sie aus den Falten ihres Gewandes gezogen hatte.
»Lass das in Wasser kochen! Schnell.«
Louise gehorchte, ohne zu zögern. Sie übertrug die Aufgabe Sarah und kehrte zurück.
»Kind lebt noch, aber Mutter sehr schwach. Kräuter werden helfen«, erklärte Ahorangi.
Nach einer Weile, die Louise wie eine Ewigkeit vorkam, brachte Sarah eine Kanne mit dem Kräutersud. Die Heilerin lüftete den Deckel, damit die Arznei ein wenig abkühlte, und flößte der benommenen Helena etwas davon ein. Anschließend flüsterte sie eine Beschwörung.
Helena drehte den Kopf zur Seite und murmelte etwas Unverständliches.
Die Heilerin kniete sich daraufhin auf das Bett und griff wieder unter das Tuch. Im nächsten Augenblick stöhnte Helena. Eine Wehe ließ sie erzittern.
»Pressen!«, rief die Heilerin.
Helena gehorchte. Mit letzter Kraft stemmte sie die Füße auf die Unterlage und drückte den Rücken durch. Dann entspannte sie sich.
Louise war einer Ohnmacht nahe vor Angst. Ist sie tot? Und was ist mit dem Kind?
Der Arzt hielt es nicht mehr aus. Er trat an das Bett und zog das Laken mit einem Ruck beiseite.
Die Heilerin richtete sich auf. Sie hielt das Kind in den Armen. Es war blutbeschmiert und etwas bläulich. Aber als Ahorangi es an den Füßen und mit dem Kopf nach unten hielt, schrie es aus Leibeskräften und übertönte das erstaunte Gemurmel des Arztes und Louises Seufzer der Erleichterung.
Louise zitterte noch immer so, dass sie sich auf den Stuhl neben der Kommode fallen ließ. Erschöpft lauschte sie den alten Beschwörungsformeln, welche die tohunga nun sprach, um böse Geister von dem Neugeborenen abzuwenden.
Dann wandte die Heilerin sich Helena zu, die leblos dalag. »Mädchen, aufwachen!«, rief sie und tätschelte ihr mit der freien Hand die Wange.
Helena regte sich, aber ihr Blick wirkte glasig.
»Dein Kind ist gesund. Klein, aber gesund.«
Ein Lächeln trat auf Helenas Lippen, als Ahorangi ihr den Säugling auf die Brust legte. Zu mehr war die junge Mutter nicht imstande. Die Wirkung des Tranks, der sie zuvor noch gestärkt hatte, verkehrte sich nun ins Gegenteil. Ihr fielen die Augen zu.
Die Heilerin nahm das Kind wieder auf den Arm und wandte sich an Louise. »Deine Tochter hat geboren tamahine mit Feuerhaar. Feuergott wird über sie wachen.«
Ob das ein Glück ist?, fragte sich Louise. Sie hatte sich insgeheim einen Jungen gewünscht, einen, der wie Laurent sein würde. Ein Mädchen wird den Namen meiner Familie nicht weitertragen, dachte sie enttäuscht. Und stets wird jemand versuchen, es zu verdrängen oder zu übervorteilen.
All diese Bedenken waren jedoch vergessen, als die Heilerin ihr die Kleine in die Arme legte. Stolz beobachtete Louise, wie ihre Enkelin eine Grimasse zog, ein schmatzendes Geräusch machte und offensichtlich nach der Brust suchte. In den kindlichen Zügen bemerkte Louise eine gewisse Ähnlichkeit mit Laurent. Tränen stiegen ihr in die Augen.
»Kind muss trinken«, sagte die Heilerin. »Im Dorf zwei Frauen mit Säuglingen sind. Soll ich fragen, ob sie werden wollen Amme für einen Tag?«
»Kann sie denn nicht selbst stillen?« Louise blickte zu Helena, die tief und fest schlief.
»Sie kann geben Kind die Brust, aber rongoa wird wirken bis zum Abend. Wenn sie schläft, Kind kann nicht trinken.«
»Einverstanden, frage die Frauen. Sie sind in meinem Haus willkommen.«
Als die Heilerin das Kind zur Wasserschüssel trug, blickte Louise zu Dr. Fraser, der sichtlich beeindruckt war. »Untersuchen Sie das Kind, Doktor! Ich stelle Ihnen derweil Ihren Scheck aus.«
7
Rotes Abendlicht fiel durch das Fenster, als Helena erwachte. Im ersten Moment wusste sie nicht mehr, wo sie war. Sie erinnerte sich nur noch an fremdartige Worte und unerträgliche Schmerzen. Danach war alles in Dunkelheit versunken. Nach und nach erkannte sie, dass sie in ihrem Schlafzimmer lag.
»Sarah?« Ihre Zunge löste sich nur mühsam vom Gaumen. Ein bitterer Geschmack lag auf ihren Lippen.
»Ich habe Sarah in die Küche geschickt«, antwortete Louise anstelle des Dienstmädchens.
Das bleiche Gesicht und der ernste Tonfall ihrer Schwiegermutter erschreckten Helena. »Mein Kind ... Was ist mit meinem Kind?« Hektisch versuchte sie, sich aufzurichten.
Louise legte ihr die Hände auf die Schultern. »Bleiben Sie ruhig, Helena, dem Kind geht es gut! Es
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