Sonnenfall - McAuley, P: Sonnenfall - The Gardens of Sun
verwundeten Soldaten, der gestorben war, bevor man ihn in den Kälteschlaf hatte versetzen können, waren in einer feierlichen Zeremonie der alkalischen Hydrolyse zugeführt worden. Die Nährstoffe aus ihren Körpern hatte man in den Hydrokulturgärten des Blasenhabitats verteilt. Aber Loc Ifrahim weigerte sich, die Leiche von Hauptmann Neves herauszurücken. Sie war immer noch tiefgefroren und wartete darauf, irgendwie zur Erde zurückgebracht zu werden. Was vermutlich niemals geschehen würde. Und Loc saß derweil am äußeren Rand des Sonnensystems fest, zusammen mit einem Haufen geflüchteter Außenweltler. Er weigerte sich, sich an den alltäglichen Verrichtungen und anderen gemeinschaftlichen
Aktivitäten zu beteiligen, weil er sich, nach eigener Aussage, als Kriegsgefangener begriff, der bestimmte Rechte besaß, an die sich seine Bewacher halten mussten.
»Sie können kein Kriegsgefangener sein«, sagte Macy zu ihm. »Weil wir keinen Krieg führen.«
»Das denken Sie!«
»Wenn Sie wirklich ein Kriegsgefangener sein wollen, könnten wir Sie auch zum Neptun zurückschicken und Sie den Geistern überlassen.«
»Oder Sie könnten mich nach Hause schicken.«
»Das würde ich machen, wenn es möglich wäre. Ich würde es sofort tun, nur um Sie loszuwerden.«
So in etwa verliefen ihre Gespräche. Zumindest war Loc inzwischen wesentlich ruhiger geworden. Direkt nach seiner Rettung hatte er ständig zwischen mürrischem Schweigen, Anfällen von selbstverachtendem Sarkasmus und blinden Wutausbrüchen geschwankt. Jetzt schlich er umher wie ein Geist, blieb meist für sich und betrachtete die Panoramen, die von Newts Überwachungssatelliten übertragen wurden, oder las die kruden Propagandanachrichten der Geister.
Macy, die den tiefen Schmerz des Heimwehs kannte, empfand ein wenig Mitleid mit ihm und war deshalb froh, als er eines Tages anbot, in den Hydrokulturgärten zu helfen. Sie glaubte, dass er sich womöglich langsam mit seiner Situation abfand, so wie sie das vor langer Zeit getan hatte. Dass er endlich einmal Rückgrat bewies.
Sie zeigte ihm, wie man Jungpflanzen pikiert. Tomaten, Gurken, Erbsen, Salat, Spinat – gentechnisch veränderte Kulturen, die besonders schnell wuchsen und innerhalb weniger Wochen reif wurden. Er bewies kein großes Geschick darin, aber er werkelte trotzdem weiter, langsam, unbeholfen und für sich allein, während die Kinder und die anderen Farmarbeiter um ihn herum fröhlich ihren Tätigkeiten
nachgingen. Nach ein paar Tagen entspannte er sich ein wenig und erzählte Macy, dass er darüber nachgedacht habe, wie die Freien Außenweltler das Beste aus ihrer Situation machen könnten.
»Ich habe gehört, wie sich Ihr Partner mit seinen Freunden darüber unterhalten hat, ob man Habitate wie dieses hier mit Hüllen aus Wassereis und radarreflektierenden Oberflächen ausreichend tarnen kann«, sagte Loc. »Ich bewundere ihren Einfallsreichtum, aber das scheint mir doch ein eher trostloses und verzweifeltes Leben zu sein. Und bisher hat es auch nicht besonders gut funktioniert, oder? Sie wurden aus dem Uranussystem vertrieben und dann aus dem Neptunsystem, und jetzt klammern sich die letzten Ihrer Leute an einen gefrorenen Gesteinsbrocken, leben von der Hand in den Mund und hoffen, dass die Geschichte irgendwie an ihnen vorbeigeht.«
»Wir wissen, dass das nicht passieren wird«, sagte Macy. »Deshalb schmieden wir Pläne. Jedenfalls ein paar von uns.«
Sie saßen nebeneinander am Fuß einer der Hauptstreben, oberhalb der großen Blase des zentralen Kerns. Entlang der Strebe waren Hydrokulturplattformen befestigt, die auf die Lichtquellen am Äquatorgürtel des Habitats ausgerichtet waren. Um sie herum verliefen weitere Streben in verschiedenen Winkeln kreuz und quer durcheinander. Hier und dort waren Netze befestigt, wie Spinnweben auf einem Dachboden. Es gab Arenen, in denen die Freien Außenweltler spielten oder Treffen abhielten oder einfach die Wärme und das Licht genossen. Eine Gruppe Kinder – darunter auch Han und Hannah – spielte inmitten dieses Labyrinths Fangen. Sie lachten übermütig, während sie sich wie eine Horde Affen von einer Strebe zur nächsten schwangen.
»Ich kenne Ihre Pläne«, sagte Loc. Er trug einen Anzugoverall wie alle anderen auch, hatte sämtliche Perlen aus seinem
Haar entfernt und es sich abrasiert, so dass sein Kopf nur noch mit dünnen Stoppeln bedeckt war. Er schien zehn Jahre gealtert zu sein. »Einige von Ihnen sind der Meinung, Sie
Weitere Kostenlose Bücher