Sonnenfinsternis: Kriminalroman
Angst vor Tunnels hatte und diesen auswich, wo immer er konnte. Dass er mit dem Tram statt der S-Bahn fuhr, auch wenn es doppelt so lange dauerte, solche Dinge.» Ich schaute Doktor Bron in ihre geheimnisvollen grün-braunen Augen und fragte: «Gehörte das zu Mujos Symptomen? Hing sein Trauma womöglich mit einem Tunnel zusam men?»
Sie nickte anerkennend und antwortete: «Ja, das ist tatsächlich so, ein Teil der traumatisierenden Ereignisse , von denen es in seinem Fall eine ganze Menge gab , fand tatsächlich in einem Tunnel statt.»
Ich machte mir eine Notiz und meinte: «Okay, darauf möchte ich nachher nochmals zurückkommen. Zuerst aber noch das dritte Kriteri um, Hypererregung? Ist das…»
« Übererregung. Nein, das ist nicht sexuell gemeint. Im Gegenteil, PTBS-Patienten sehen sich verständlicherweise oftmals nicht in der Lage, ein normales Sexualleben zu führen. Nein, gemeint ist damit ein Zustand überhöhter Empfindungen wie Beklemmung und Schreckhaftig keit, Reizbarkeit, extreme Wachsamkeit oder Konzentra tions schwä che.»
«Depressionen? Angstzustände?»
«Beides, und zwar unter Umständen bis zur Suizidgefährdung.»
«Und war Mujo suizidgefährdet?»
Dr. Bron dachte sichtlich darüber nach, bevor sie sich räusperte und antwortete: «Nicht, soweit ich das feststellen konnte. Im Gegenteil, der Krieg scheint seinen Lebenswillen sogar ausgesprochen stark gefestigt zu haben.»
«Und wie wird PTBS behandelt? Mit Medikamenten?»
«Manchmal», antwortete Mareille, «wobei empfohlen wird, die Psy cho therapie dem Einsatz von Medikamenten vorzuziehen. Aller dings muss ich sagen, dass es Patienten gibt, die Medikamente bevor zu gen. Unter gewissen Umständen mag auch die Therapie nicht aus rei chend sein…»
«Und was machen sie dann?»
«Ich kann als Psychotherapeutin nicht selber Medikamente verschrei ben. Wenn es nötig ist, ziehe ich einen befreundeten Psychiater hin zu.»
«Kann das Syndrom denn geheilt werden?»
«Darauf kann ich keine absolute Antwort geben. Das hängt immer von der traumatisierten Person, ihrem Umfeld und dessen Zusammen spiel mit der therapierenden Person ab. Die Unterstützung des sozialen Um feldes und allgemein stabile Beziehungen sind sehr wichtig.»
«Und wie war das nun bei Mujo Hasanović? Wie waren seine Aus sich ten auf Besserung oder sogar Heilung?»
Sie verzog bedauernd das Gesicht und erwiderte: «Leider nicht besonders gut.»
«Weshalb nicht?»
«Na ja, da wäre erstens die Schwere des Traumas…» Sie hielt inne und blickte mich einen Moment lang nachdenklich an. Dann fragte sie: «Wie viel wissen S ie über seine Kriegserlebnisse?»
«Gar nichts.»
Erstaunt fragte sie: «Wirklich? Ich hatte den Eindruck, S ie seien bereits recht gut informiert.»
«Nein. Es gibt nur zwei Personen, die allenfalls darüber Bescheid wissen…»
Sie nickte. «Seine Ehefrau und seine Liebhaberin.»
Verblüfft fragte ich: «Sie wissen davon?»
L akonisch antwortete sie : «Ich war seine Therapeutin.»
«Auch wieder wa h r.»
«Andererseits sind seine Kriegserlebnisse kaum relevant für das Finden seines Mörders.»
«Plural», sagte ich.
«Wie bitte?»
«Ich gehe von mehreren Tätern aus.»
Sie runzelte etwas irritiert die Stirn und erwiderte: «Also, dann seinen Mördern. Wie auch immer, ich werde diesen Teil nicht be han deln.»
Nun war es an mir, irritiert die Stirn zu runzeln. «Es würde mir vielleicht helfen, ihn besser zu verstehen.»
«Das glaube ich, aber das ist Teil seiner Privatsphäre, von der wir vorhin sprachen. Ich kann ihnen aber sagen, dass es Monate dauerte, bis er sich überhaupt soweit öffnete, dass er von diesen Erlebnissen erzählte. Und auch dann nur sehr generell und oberflächlich.»
«Was war das Problem?», fragte ich.
Sie antwortete fast entschuldigend: «Mujo Hasanović ist… war das Produkt einer patriarchalischen Gesellschaft. Es war für ihn ungleich schwerer, mit einer Frau über das Erlebte zu sprechen als mit einem Mann.»
«Wirklich?»
«Ja. Nicht bewusst. Aber er hielt gewisse Dinge sehr lange zurück oder ging überhaupt nicht darauf ein. Ich hatte schon früh die Vermutung, dass mein Geschlecht dabei eines der Probleme war.»
«Wie kam er überhaupt zu I hnen?»
«Ich wurde ihm von einem Bekannten empfohlen . S ein Hausarzt hat ihn dann offiziell an mich überwiesen.» Als sie meinen fragenden Blick bemerkte, fügte sie hinzu: «Ich habe mich auf die Behandlung kriegsbedingter PTBS spezialisiert, soweit man
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