Sonnenflügel: Roman. Band 2 der Fledermaus-Trilogie (German Edition)
der Statue zurück.
Ein breiter Fluss schnitt die Stadt in zwei Teile und über das Wasser spannte sich eine hohe Brücke. Sogar aus dieser großen Entfernung konnte Marina die flatternde Bewegung darunter erkennen. Dann drehten sich riesige, lange, glänzende Säulen in alle Richtungen in den Himmel, wendeten und spannten sich wie dunkle Regenbögen über die Stadt.
Fledermäuse. Millionen von ihnen.
Sie waren in Brückenstadt angekommen.
Marina spürte, wie sie von Stolz überflutet wurde. Sie hatte nie geglaubt, dass sie diesen Ort wirklich aufsuchen würden, diese legendäre Stadt, wo die Fledermäuse den Himmel füllten und eher wie die Herrscher dieses Ortes wirkten als die Menschen, die ihn erbaut hatten. Auch Erleichterung fühlte sie. Sie näherten sich der allergrößten Hochburg von Fledermäusen, dem Heim der westlichen Kolonien von Langschwanzfledermäusen, den größten aller nördlichen Fledermäuse. Wenn es überhaupt noch einen Ort auf dieser Erde gab, an dem sie sicher waren, dann war es dieser.
Trotzdem bekam sie ein mulmiges Gefühl, als sie die Stadt der Menschen betrachtete. Die Vorstellung, so nahe bei ihnen zu leben, stieß sie jetzt ab. Und wie konnten die Fledermäuse sicher sein vor den widerlichen Plänen der Menschen?
Als sie näher herangeflogen kamen, erkannte sie, wie die Brücke eine so gewaltige Anzahl von Fledermäusen beherbergen konnte. Ihre Länge war gewaltig, ein Gitterwerk von Metallstreben, in Abständen von mächtigen Steinpfeilern getragen, die aus der Tiefe des Flussbettes hinaufragten. Der obere Teil der Brücke diente, wie Marina sah, als eine Art Straße für die Menschen. Sie wurde jetzt von ihren Maschinen erleuchtet, die lärmend hin- und herfuhren. Die Unterseite der Brücke aber bot mit ihren zahllosen Simsen und Nischen genügend Rastplätze, die sich über die ganze Spannweite hinweg von einem Ufer des Flusses zum anderen erstreckten.
Als sie sich näherten, wurden sie von Fledermäusen begrüßt, die in Scharen freudig um sie herumflogen, und Marina empfand beinahe etwas wie Jubel. In der Mitte eines solchen Gedränges zu sein! Wie könnten sie je geschlagen werden? Alles war jetzt möglich.
Selbst die Eulen zu besiegen.
Und Schatten zu retten.
Die nächsten Stunden vergingen im Nu, als man sie, Ariel und die anderen Neuankömmlinge zu verschiedenen Stellen der Brücke führte und ihnen zeigte, wo sie Ruhe finden konnten. Sie erfuhr, dass die Bevölkerung der Brücke während der letzten zwei Monate gewaltig angewachsen war. Hier war nun ein Zuhause für Fledermäuse aller Arten von der Westküste bis zum Osten. Die Ruheplätze waren überfüllt und alle schienen bestens gelaunt und erzählten die Geschichten ihrer eigenen Abenteuer, von ihrem knappen Entkommen vor den Eulen, von heimtückischen Angriffen und verzweifelten Flügen in die Freiheit.
„Du solltest schlafen“, sagte ihr Ariel. „Wir sind eine Million Flügelschläge lang stramm geflogen.“
„Wann können wir weiter nach Süden?“
„Wir werden Frieda fragen“, sagte Ariel. Dann runzelte sie die Stirn. „Ich mache mir Sorgen um sie.“
Die Älteste der Silberflügel war nicht bei ihnen. Sie war zusammen mit Achilles Grauflügel geladen worden, um Halo Langschwanz, der Ersten Ältesten der Brücke, Bericht zu erstatten. Auch Marina war besorgt wegen Friedas Gesundheitszustand. Immer mehr hatte diese sich in den vergangenen Nächten darauf verlassen müssen, dass andere für sie flogen. Ihr Atem rasselte jetzt beinahe ständig. Sogar ihre strahlenden Augen schienen etwas verschleiert und wanderten zu fernen Horizonten.
„Diese letzte Reise ist zu viel für sie gewesen“, sagte Ariel.
Marina schüttelte besorgt den Kopf. „Es wird ihr schon besser gehen. Sie braucht nur Ruhe.“ Sie wollte nichts davon hören, dass jemand im Sterben lag. Ariel antwortete nicht.
Erstaunlicherweise schlummerte Marina tief trotz der andauernden lauten Geschäftigkeit um sie herum, trotz der Ungeduld, die durch ihre Adern pulsierte. Die reine Erschöpfung obsiegte. Als sie schließlich aufwachte, war Frieda bei ihr und Marina brach in ein freudiges Lächeln aus.
„Die Ältesten halten in einer Stunde einen Kriegsrat ab“, sagte Frieda und unterdrückte ein Husten, „und ich möchte, dass ihr beiden mich begleitet. Es könnte sein, dass ihr meine Stimme ersetzen müsst.“
Der Kriegsrat wurde in dem höchsten der hoch aufragenden Türme der Brücke abgehalten. Dort hatten Halo Langschwanz und
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