Sonnenkoenig
sind
die beiden Kerle, die sich am Flughafen rumgetrieben haben. Das Narbengesicht
ist unverkennbar. Zufall? Schon der zweite! Jetzt fiel es Ninus wie Schuppen
von den Augen. Klar, Mensch. Der war es, den ich in der Fußgängerzone gesehen
habe, als ich Carla in meine Wohnung bugsierte. Kein Zufall mehr!
»Hallo, Herr Hagen. Habe ich etwas
angestellt oder warum begrüßt du mich nicht mehr?« Lena setzte sich neben
Wanninger.
»Entschuldige … warte … einen
Moment.« In Hagens Kopf überschlugen sich die Bilder.
»Sie müssen Frau Cosian sein«,
fuhr Lena fort. »Und wir kennen uns. Grüß Gott, Herr Kommissar. Was habt ihr
beiden denn mit meinem Lieblingsschnüffler angestellt, der ist völlig von der
Rolle …«
»Sei ruhig, Lena!« Ninus beugte
sich vor. »Wirf unauffällig einen Blick an den Tisch ganz vorne links. Die
beiden Männer, kennst du die?«
Lena ließ ihren Blick durchs
Eiscafé schweifen, rechts und links, oben und unten, bis er schließlich an
besagtem Tisch ankam. Sofort wandte sie sich ab. Ihr Mund stand offen, ihre
Augen zuckten nervös hin und her. »Vorgestern. Vorgestern früh. Ich habe dir
doch von meinem Eindruck erzählt, jemand wäre in meiner Wohnung gewesen. Der
Typ mit der Narbe im Gesicht, der war mir aufgefallen, bevor ich nach Hause
kam. Hat in einem Auto gesessen. Vor dem Haus. Ich habe nur genauer
hingeschaut, weil der Wagen in einem schönen Rot lackiert war. Ich bin mir
sicher, der hat hinter dem Steuer gesessen.«
Wanninger hatte wortlos zugehört.
Jetzt forderte er Aufklärung.
»Die beiden Typen waren am
Flughafen, als Carla ankam – warte, Carla, ich erkläre dir später, warum ich
dort war – und dann habe ich sie gesehen, als ich Carla in meine Wohnung
brachte. Direkt vor dem Haus von Pauls Wohnung. Jetzt sind sie zusammen mit
Lena hereingekommen.«
»Nicht mit mir, nach mir«,
korrigierte Lena ihren Freund.
Wanninger massierte sein bartloses
Kinn. »Ich gehe rüber. Eine Personenkontrolle wird wohl erlaubt sein.«
Noch bevor Ninus etwas sagte,
stand Beppo auf und ging zielgerichtet auf den Tisch mit den beiden Männern zu.
In diesem Moment sprangen die beiden auf, zogen wie aus dem Nichts zwei
Handfeuerwaffen hervor und begann zu schießen. Beppo brachte sich mit einem
beherzten Sprung zur Seite aus der Schussbahn, Ninus warf sich auf Carla und
riss sie nach unten. Lena sprang auf und wollte weglaufen. Sie setzte sich in
Bewegung, blieb wie angewurzelt stehen. Schaute auf ihren Bauch. Ein kleines
Loch in ihrer Bluse. Um das Loch herum wurde das Rot immer dunkler. Lena drückte
mit der Hand dagegen und klappte zusammen. Schlug auf die Steinfliesen.
»Lena!«, schrie Ninus, während
Beppo auf die beiden Schützen feuerte, was das Zeug hielt. Einer war bereits
durch die Tür, den zweiten erwischte die Kugel des Kommissars. Er krachte gegen
den Türrahmen und sank zu Boden. Totenstille. Für eine Sekunde blieb die Welt
stehen, war die Zeit angehalten. Standbild. Dann brach die Hölle los. Menschen
schrien, rannten hin und her, warfen Stühle um, drängten ins Freie. Ninus eilte
zu Lena. Leblos lag sie auf dem Rücken, das Gesicht zur Seite. Ihre Augen waren
geschlossen. In Höhe ihres Bauchnabels tropfte Blut auf die Fliesen. Ninus
drückte auf die Einschussstelle, um das Blut aufzuhalten. »Lena«, flüsterte er.
»Halte durch!«
In das Lokal hinein brüllte er
nach einem Notarzt. Wieder zu Lena gewandt: »Bleib bei mir, Teufelchen. Lass
mich nicht im Stich.« Dicke Tränen kullerten über Hagens Wangen, tropften auf
Lenas geschlossene Augen.
Die Zeit rieselte
dahin, verging langsam und träge. Ninus meinte, sie sei stehen geblieben.
Ständig blickte er auf die Uhr. Wieder waren nur ein paar Minuten vergangen.
Die Tür zum Operationssaal ging ständig auf und zu, Ärzte und Schwestern eilten
hinein, kamen wieder heraus. Der nächste Notfall wurde angeliefert.
Krankenhausroutine. Niemand wollte oder vermochte ihm Auskunft zu geben.
»Sie wird noch operiert«, war
alles, was er in Erfahrung brachte. Zwischendurch stand er auf, ging den Flur
auf und ab, beschimpfte sich selbst, verfluchte sich und die ganze Welt. Lena!
Sie war ihm so vertraut, war Teil seines Lebens. Seines Lebens nach Elke.
Im Herbst 1997 stand
Ninus Hagen am Fenster seiner neuen Wohnung in der Neugasse. Er schaute
geistesabwesend dem Treiben in der Straße unter ihm zu. Menschen eilten mit
Tüten beladen hindurch, Skateboardfahrer erschreckten Rentner, und junge Mütter
versuchten,
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