Sonnenkoenig
Begriffe zu, von
denen Ninus nichts verstand. Er dachte lediglich, solange die sich beeilen, so
lange hat Lena noch eine Chance. Vor der OP-Tür wurde Ninus gestoppt. Hier
endete sein Weg, er warf einen letzten Blick auf seine totenblasse Freundin.
Hilflos und wie neben sich stehend, griff er sich einen der grünen
Plastikstühle, die an der Wand nebeneinander aufgereiht standen. Zuweilen
wünschte er sich, an irgendeine übernatürliche Macht glauben zu können, wie
immer sie geartet wäre. Jetzt war einer dieser Momente, wo man sie hätte
anrufen und um Hilfe bitten könnte. Erschöpft lehnte er seinen Kopf nach hinten
gegen die kalte Wand und schloss die Augen. Während die Ärzte um Lenas Leben
kämpften, durchlebte Ninus noch einmal den Film, in dem er vor weniger als
einer Stunde mitgespielt hatte. Dies musste ein Film sein oder ein Albtraum.
Winfried Wanninger
kam kurz nach 11 Uhr. Seine spindeldünnen Beine und Arme schlackerten förmlich
an ihm herum, seine ausgewaschenen Jeans schienen, wie sein braunes
Cordjackett, zwei Nummern zu groß zu sein. Mit einem aufgeräumten »Moin, Moin«
setzte er sich Carla gegenüber und fing sofort an: »Wenn der Detektiv mir seine
hübsche Begleiterin vorstellen möchte?«
»Moin, Beppo. Carla Cosian. Carla,
Hauptkommissar Winfried Wanninger, von Freunden und Feinden Beppo genannt.«
Leutselig streckte Wanninger Carla
seine Hand entgegen: »Angenehm.«
Carla zögerte. Unbewusst war sie
näher an Ninus herangerückt, hätte sich am liebsten hinter ihm versteckt.
Schließlich ergriff sie doch die dürren Finger des Polizisten: »Gleichfalls.«
Ninus grinste: »Brecht euch keinen
ab. Noch ein bisschen steifer und ich fange an, die Nationalhymne zu singen.«
»Deren Text du doch gar nicht
kennst und die Melodie bei deinen Sangeskünsten nicht zu erkennen wäre. Wenn’s
sein muss, trommle sie uns vor. Entspannen Sie sich, Frau Cosian. Ninus hat
Ihnen sicherlich gesagt, dass ich rein privat hier bin. Wäre ich dienstlich,
würde ich jetzt Handschellen zücken.«
Carla zuckte zusammen.
»Beppo! Halt die Luft an, sonst
sind wir gleich wieder weg …«
»Dich würde ich gleich mit
verhaften. Mal ganz davon abgesehen ermittle ich jetzt in zwei Mordfällen.«
»Zwei?«, entfuhr es Carla. Ninus
wurde es unbehaglich.
»Hat Ihnen wohl nicht alles
erzählt, unser privater Schnüffler. Egal. Ich würde jetzt gerne etwas hören,
ganz inoffiziell. Ob es später offiziell wird, hängt ganz von eurer Geschichte
ab. Wie wäre es, wenn Frau Cosian zunächst schildert, wie, wann und warum sie
in der Wohnung ihres Bruders war.«
Carla schaute fragend zu Ninus
hinüber.
»Der Herr Hagen wird sich
ausnahmsweise raushalten. Ich möchte Ihre Version hören.«
»Also«, begann Carla. »Ich bin
vom Flughafen aus direkt zu meinem Bruder gefahren … autsch!« Hagens Tritt
gegen ihren Fuß war wohl etwas zu fest gewesen.
»Entschuldigung.«
»Das heißt, vorher habe ich mich
noch mit meiner Schwester Julia auf der Flughafentoilette getroffen, um ihr
etwas zur Aufbewahrung zu übergeben …«
»Bevor du erfährst, was dies war,
musst du dich etwas gedulden. Das ist eine andere Geschichte«, schaltete sich
Ninus an Beppo gewandt ein.
»Als ich bei meinem Bruder ankam,
war er nicht da. Ich beschloss, einen Einkaufsbummel zu machen und es später
nochmals zu probieren. Da ich einen Schlüssel von Paul habe, stellte ich mein
Gepäck in seine Wohnung. Nach etwa einer Stunde kam ich wieder zurück. Die
Wohnungstür stand offen. Als ich reinging …« Carla hielt inne, schluckte, trank
an dem Wasser, das sie sich zuvor bestellt hatte, und fuhr mit belegter Stimme
fort. »Paul lag blutüberströmt am unteren Treppenabsatz, sein Rollstuhl
umgekippt daneben. An das Weitere kann ich mich nicht mehr erinnern. Erst
wieder in der Wohnung von … autsch.«
»In der Wohnung von …?«, hakte der
Kommissar nach.
Carlas Augen wanderten verstört
zwischen Wanninger und Ninus hin und her.
»In der Wohnung von …?«,
wiederholte Beppo und blickte dabei unumwunden Ninus an.
»Ist schon gut. Sie war bei mir.
So, jetzt ist es raus. Mach damit, was du willst. Ich kann es nicht mehr ändern.«
In diesem Moment schaute Ninus zum Eingang und sah Lena kommen. Strahlend und
mit großen Schritten eilte sie auf die drei zu. Kaum war Lena am Tisch
angekommen, öffnete sich die Eingangstür erneut und zwei Männer kamen herein.
Ninus wollte gerade Lena begrüßen, als er stutzte. Die kenne ich doch. Das
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