Sonnenkoenig
heraus, blickte sich kurz um und ging
mit ernstem Gesicht auf Ninus zu. Nein, lass es nicht wahr sein, brüllte es in
Ninus.
»Sind Sie ein Angehöriger von Frau
Rotmilch?«
»Ja, nein … ich bin ihr Freund,
ich war dabei, als sie angeschossen wurde, ich bin im Krankenwagen
mitgefahren … was ist mit ihr?«
Der Arzt zögerte.
Nein, brüllte es in Ninus.
»Eigentlich dürfte ich nicht … nun
gut. Frau Rotmilch hat die Operation gut überstanden. Es geht ihr den Umständen
entsprechend. Heute Nacht entscheidet sich, ob sie überleben wird.«
Lena lebt! Lena wird es schaffen!
Ninus begann bitterlich zu weinen. Die Anspannung der letzten Stunden fand
durch seine Augen einen Weg nach draußen. Er weinte hemmungslos und lachte
dabei.
II. Einfach nur Tom
Carla hatte sich eine
Gefängniszelle schlimmer vorgestellt. Sicherlich, die Toilette auf dem Flur war
nicht gerade das, was man sich unter ›Schöner Wohnen‹ vorstellte. Der Raum war
weiß gekachelt, steril und sauber, die Matratze einigermaßen bequem und Carla
hatte bis auf ihren Gürtel ihre Kleider behalten dürfen. Sie lag auf der
Metallpritsche, die sich an die Wand klappen ließ, hatte den nicht verbundenen
Arm hinter dem Kopf verschränkt und starrte gegen die Decke. Die rechte Seite
ihres Gesichts pochte, fühlte sich an, als sei sie wie ein Ballon aufgeblasen.
Als sie das letzte Mal in einen Spiegel geblickt hatte, waren die Wange und die
Schläfe blau unterlaufen und stark geschwollen. Würde momentan wahrscheinlich
eher grün und gelb leuchten. Irgendwie war sie froh, in dieser Zelle zu sitzen.
Die Schuld, die auf ihr lastete, erdrückte sie, ließ sie an nichts anderes
denken. Ihr anfangs harmlos erscheinender Versuch, Rolozko eins auszuwischen,
hatte das reine Chaos ausgelöst. Drei Leichen, eine Entführung und – Carla
richtete sich abrupt auf – vielleicht vier? Lena Rotmilch, die Journalistin und
Hagens Freundin. Was war mit ihr? Lebte sie noch? Die Schießerei im Eiscafé –
sie konnte es noch immer nicht fassen.
Carla bekam gar
nichts mit. Sie saß neben Ninus, begrüßte gerade die rothaarige Journalistin,
die sich mit Lena vorgestellt hatte, als Ninus von den beiden Männern erzählte,
woraufhin Wanninger aufstand. Plötzlich explodierten Schüsse. Ninus warf sich
auf sie. Riss sie zu Boden. Sie schlug mit der rechten Gesichtshälfte auf. Von
ihrer Position unter dem Tisch sah sie, wie die Journalistin aufstand. Wie sie
losrennen wollte und plötzlich verharrte, mitten in der Vorwärtsbewegung. Einen
kurzen Moment lang. Dann brach die Frau zusammen. Ninus, der immer noch auf ihr
lag, schrie auf. Plötzlich war es totenstill, für Sekunden, worauf das Chaos
erneut losbrach. Ninus sprang zu Lena und Carla richtete sich vorsichtig auf.
Lugte über die Tischkante hinweg. An der Eingangstür lag einer der beiden
Männer. Wanninger betastete seine Schlagader und rannte raus auf die Straße.
Ninus beugte sich über Lena. Carla versuchte aufzustehen, ihre Beine gaben
nach, sie musste sich wieder setzen. Wie lange sie so verharrt hatte, wusste
sie nicht mehr. Irgendwann kam eine Ärztin zu ihr, kümmerte sich um ihr
Gesicht, gab ihr eine Spritze und wollte sie in den Krankenwagen führen. Carla
wehrte sich. »Ich bin okay. Lassen Sie mich noch einen Augenblick hier sitzen.
Es geht mir bestimmt gleich besser.«
»Gut«, sagte die junge Frau. »Ich
schaue später wieder nach Ihnen.«
Wie in Trance nahm Carla die Dinge
wahr, die um sie herum passierten. Als schwebe sie an der Decke und blickte auf
alles herab, einschließlich ihrer selbst, wie sie in einem Hochheimer Eiscafé
auf einer Bank saß und dem Treiben um sie herum zuschaute.
»Hallo, Frau Cosian. Hallo, jemand
da?«
Carla schreckte aus ihrem
Schwebezustand auf. Fiel von der Decke herab und sah vor sich das besorgte
Gesicht des Kommissars. »Herr Wanninger? Ich bin wieder da.«
»Na, ist doch schön. Sie sollten
sich im Krankenhaus behandeln lassen. So ein Schock ist nicht zu
unterschätzen.«
»Nein, nein. Es geht. Was macht
Ninus? Wo ist er?«
»Er ist im Krankenwagen
mitgefahren. Er wollte unbedingt Frau Rotmilch begleiten.«
»Wie geht es ihr?«
»Schlecht. Bauchschuss. Innere
Blutungen. Hoher Blutverlust. Wenig Chancen.«
Carla schlug die Hände vors
Gesicht: »Alles wegen mir. Ich habe an allem Schuld. Ich und meine
gottverdammte Rache, meine Verbohrtheit, meine …«
»Schön langsam. Erstens sollten
Sie sich genau überlegen, was Sie sagen, ich bin jetzt
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