Sonnenlaeufer
zitternde, weinende Baby an seine Brust. Pols Augen waren auf Sioned gerichtet. Das verhangene Blau des Säuglings war in flammendes Feuer aufgegangen. Winzige Hände wurden ausgestreckt, Fäustchen, genauso geballt wie Sioneds Hände. Sie lag auf den Knien. Der weiße Umhang blähte sich hinter ihren Schultern wie Drachenschwingen, sie hielt die Arme ausgestreckt, und ihre Züge waren in schrecklicher Intensität erstarrt. Die Sterne waren in ihre Augen gedrungen und schienen in den Adern ihres schlanken Körpers zu fließen, während ein kalter, silbriger Schimmer sie umgab, ein weißes Feuer von den Sternen, Regenbogenfarben, die ihrer Farblosigkeit entsprungen waren. Tobin wusste, was Sioned getan hatte, wie sie jeden Faden Licht vom Himmel zu den Mustern der Macht verwebt hatte, die ihr Werk waren: Urival, Andrade, Tobin, sie selbst – und das Kind.
Ostvel blickte auf. »Er hat zu weinen angefangen. Ich konnte ihn nicht beruhigen.«
Tobin nickte. Es gab keine Möglichkeit, das Kind vor diesem Erbe zu schützen. Lichtläufer und Prinz.
Ganz plötzlich fing Sioned an zu zittern. Das Weinen des Babys wurde zu einem Wimmern, dann verstummte der Knabe, und das kleine Gesicht entspannte sich und wurde endlich heiter. Es dauerte lange, bis auch Sioneds Gesicht denselben Frieden zeigte.
»Der mit dem Messer – du hättest ihn töten können«, flüsterte Tobin heiser.
Sioned nickte, und in ihren Augen zeigten sich noch Spuren der Sterne und der Macht. »Jetzt verstehst du, was mit Pandsala war, nicht wahr? Sie und ich bedauern beide dasselbe – dass Roelstra nie erfahren hat, dass sie ihn die ganze Zeit über betrogen hat.«
Da sie Ostvels Verwirrung fühlte, wandte sich Tobin ihm zu und erklärte zögernd: »Da war – ein Kampf zwischen Rohan und Roelstra. Einer der Männer des Hoheprinzen versuchte, ihn mit einem Messer zu beenden. Sioned – sie hat die Sterne benutzt, Ostvel. Es gab kein anderes Licht.«
Sioned berührte Pols Wangen. »Es gibt Feuer in den Sternen«, murmelte sie. »Lichtläufer-Feuer.«
Ostvel hielt Pol fester. »Er hat es gefühlt. Alles, Sioned. Du weißt, was das aus ihm macht.«
Sie nickte wieder, den Kopf tief gebeugt. »Es fängt zu früh für ihn an. Ich hoffe, dass er mir eines Tages vergeben kann.«
Kapitel 31
Drachengold. Damit wurde die Arbeit von einhundert Handwerksmeistern gekauft, und zu Beginn des Frühlings erstrahlte die Große Halle von Stronghold in neuem Prunk. Die Künstler hätten natürlich auch unentgeltlich gearbeitet; die Ehre, damit prahlen zu können, dass sie daran beteiligt gewesen waren, war mehr wert als jede Bezahlung. Aber Rohan zahlte. Gold war nur Metall und kostete ihn wenig, wenngleich das nur wenige Menschen wussten. Er stand da und betrachtete seine Bühne, denn ihm war bewusst, dass die Halle genau das war. Der Prinz nickte zufrieden.
Dreihundert Lampen mit Schirmen aus funkelndem Fironeser Kristall befanden sich hoch oben an den Wänden, wo einst Fackeln gebrannt hatten. Kacheln aus Kierst bildeten ein blau-grünes Muster auf dem Boden. Neue Esstische und Stühle aus Syr bogen sich unter einem prachtvollen Dinnerservice aus Gribainer Porzellan und Besteck aus Fessenden-Silber. In flachen Vasen aus blauem Glas aus Ossetia waren Blumen arrangiert; zu beiden Seiten davon befand sich ein Weinkrug, hergestellt aus riesigen Meeresmuscheln, die an der Küste von Isel gefunden worden waren. Die grünen Servietten, die fantasievoll gefaltet auf den Tellern thronten, waren aus Seide aus Dorval; in Pinienholzkästchen aus Cunaxa befanden sich Gewürze; Fingerschälchen aus schwarzem Hirschhorn aus Meadowlord und weißem Elchhuf aus der Prinzenmark warteten nur auf edle Hände, die anschließend an kleinen, weichen Tüchern aus blauer Gilader Wolle getrocknet werden würden. Neben jedem prinzlichen Kelch stand ein zarter, kleiner Becher, der einzige offene Hinweis auf das Drachengold, von dem alles andere gekauft worden war.
Die Banner der Athr’im aus der Wüste waren ins Foyer gebracht worden. In der Halle waren sie durch einen einzigen Wandteppich hinter dem Tisch ersetzt worden: das neue Drachensymbol. In schlichten, eleganten Linien bildete der kühne Schwung ausgebreiteter Schwingen das Gegengewicht zum stolz erhobenen Kopf des Tieres. Der Drache war Gold auf Blau stilisiert dargestellt. Gekrönt von einem schmalen Reif hielt er einen kleinen Ring mit einem echten Smaragd, der auf dem Stoff befestigt war. Zehava hätte diese große Geste
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