Sonnenlaeufer
und hörte in der plötzlichen Stille Chay einen leisen, bewundernden Pfiff ausstoßen. Es gab viel zu bewundern, als Sioned nun die Halle durchquerte und zu ihrem Tisch trat.
Schlicht gekleidet, ohne Schmuck, das Haar zu einem einfachen Zopf mit schmalen Goldbändern geflochten, wirkte sie dennoch in ihrem dunkelgrünen Seidenkleid so königlich wie eine Prinzessin. Sie schaute weder links noch rechts, und ihre Bewegungen waren ein wenig steif, als sie unter aller Augen den Mittelgang entlangschritt. Walvis wollte an ihre Seite eilen, um ihr zu helfen, aber Rohan hielt ihn zurück. Andrade nickte vor sich hin; Sioned musste sich daran gewöhnen, angestarrt zu werden, denn wenn sie erst einmal Rohans Gemahlin war, würde sie häufig in der Öffentlichkeit auftreten müssen.
Der Prinz erhob sich, als die Lichtläuferin sich vor ihm verneigte. Als sie Kopf und Knie beugte, den Blick stur zu Boden gerichtet, trat Rohan zwischen die Tische und stand nun am Podium vor ihr.
»Einen Augenblick, Mylady«, sagte er, als sie sich erhob, und seine Stimme war bis in den letzten Winkel des Saales zu vernehmen. Die Wangen des Mädchens liefen scharlachrot an, als sie verzweifelt aufblickte, und ihre Augen erinnerten an einen verängstigten Vogel. Rohan fuhr fort: »Wir möchten Euch für Euren Mut danken, den Ihr heute bei der Jagd bewiesen habt. Im Namen Unserer Schwester und ihres Gemahls, im Namen Unserer Mutter und Unserer Tante, besonders aber in Unserem eigenen Namen danken Wir Euch. Ihr habt die beiden jungen Herren gerettet, die Unsere Erben sind – bis Wir einen eigenen bekommen können.«
Andrade lehnte sich zurück, um das Schauspiel zu genießen. Rohans Worte gefielen ihr genauso wie das wütende Aufblitzen in Sioneds grünen Augen. Ungezogener Bursche! Verwendete das königliche »Wir«, um auf ihre gemeinsamen Kinder anzuspielen!
Rohan streckte ihr eine Hand entgegen. Hilflos legte sie ihre Finger hinein und trug einen Augenblick später den Smaragdring. Andrade wäre fast erstickt. Er hatte ihn an den Mittelfinger der linken Hand gesteckt, der für einen zehnten Lichtläufer-Ring bestimmt war. Eine Faradhi trug an diesem Finger niemals einen anderen Ring.
»Es ist Unser Wunsch, dass Ihr ihn tragt. Möge er Euch immer daran erinnern, dass Wir in Eurer Schuld stehen«, sagte er. Entschlossen zog er Sioned neben sich aufs Podium, übergab sie Walvis, und als der Knappe sie zu ihrem Platz am Tisch führte, hob Rohan seinen Weinkelch. »Auf Lady Sioned«, rief er aus.
Die Versammlung brüllte ihren Namen und trank auf ihre Gesundheit. Sioned sah jetzt allerdings wie jemand aus, dessen Gesundheit dringend einiger Toasts bedurfte. Andrade grinste hinter ihrem Kelch und überlegte, zu welchen Methoden das Mädchen greifen mochte, um Rohan das heimzuzahlen.
Er wartete, bis in der Halle wieder Ruhe eingekehrt war, ehe er erneut sprach. »Meine Herren, ich habe mir Eure Wünsche und Bedürfnisse sorgfältig angehört. Sie sind vielfältig und zahlreich. Aber noch nie zuvor habe ich beim Rialla verhandelt, und daher zögere ich, mich an Versprechungen zu binden, die ich vielleicht nicht einhalten kann. Deshalb bitte ich Euch, aus Eurer Mitte drei Männer zu wählen, die mich nach Waes begleiten und mich dort beraten können.«
Andrade starrte ihn an. Chay würde wie üblich zum Rialla reisen, natürlich, aber es ziemte sich nicht, dass geringere Lords ihren Prinzen begleiteten. Was heckte der Junge nun schon wieder aus?
»Mein Vater, Prinz Zehava, hat mir einmal erklärt, dass die Versprechungen eines Prinzen mit ihm sterben. Ich will nicht, dass das auch bei mir der Fall ist. Ich weiß nicht, was er Euch in früheren Jahren versprochen hat, aber ich weiß, dass seine Hauptsorge immer der Reichtum und das Glück in seinem Land waren. Wenn wir die Wüste stark und wohlhabend erhalten wollen, dann müssen wir zusammenarbeiten. Ich habe mir jedoch gedacht, dass …« Er brach ab und holte tief Luft, nicht nur, um mehr Wirkung zu erzielen, wie Andrade mit zusammengekniffenen Augen bemerkte. »Ihr und Eure Familien habt mir und den Meinen lange und gut gedient. Doch mit Ausnahme des Herrn von Burg Radzyn, der die Burg anlässlich seiner Hochzeit mit meiner Schwester als Geschenk erhielt, besitzt keiner von Euch die Ländereien und Burgen, die Ihr verwaltet, auch wirklich. Deshalb schlage ich Euch Folgendes vor: Nach meiner Rückkehr vom Rialla , also im Herbst, werde ich zu jedem meiner Besitztümer reisen, werde es
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