Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute

Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute

Titel: Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Till
Vom Netzwerk:
Fahrstuhls. Anstatt meine Traurigkeit zu bekämpfen, hatte sie sich mit ihr verbündet. Irgendjemand hatte etwas gegen mich. Was hatte ich bloß verbrochen? Auf der Welt zu sein war anscheinend Verbrechen genug, um solch einen Tag zu verdienen, und er war noch nicht mal zu Ende.

vierzehn
    Endlich war es dunkel draußen. Endlich war die Nacht gekommen, um alles Hässliche zu bedecken. Autos waren nur noch Lichter und Menschen nur noch Schatten und der Himmel war ein Weihnachtsbaum. Ich ging eine Straße entlang, vorbei an unzähligen Häusern, in denen unzählige Menschen wohnten. In manchen Fenstern brannte Licht und ich fragte mich, was die Menschen hinter diesen Fenstern wohl gerade machten. Wer waren sie und was dachten sie in diesem Moment? Hatten sie genauso einen miesen Tag gehabt wie ich? Wohl kaum. Waren sie glücklich oder wenigstens zufrieden mit ihrem Leben? Ich fing an, mir zu jedem Fenster eine Geschichte auszudenken.
    Da war das Fenster mit dem Aquarium und nur einem einzigen Fisch darin. Er gehörte diesem unscheinbaren Mädchen, und obwohl sie äußerlich bereits eine Frau war, fühlte sie sich die meiste Zeit immer noch so wie damals in der Schule, wo niemand sie beachtete. Sie hatte ihr Studium mit Auszeichnung bestanden und arbeitete jetzt seit zwei Jahren in einer Werbeagentur. Waschmittel und Brotaufstrich. Natürlich war sie fleißig und zuverlässig, kam nie zu spät und ging nie früher und sie hatte noch drei Wochen Resturlaub vom vorigen Jahr übrig. Ihre Kollegen schätzten sie, weil sie immer freundlich und hilfsbereit war, aber nach Feierabend ging jeder seinen eigenen Weg. Sie hatte sich an die Einsamkeit gewöhnt; damit abfinden konnte sie sich allerdings nicht.
    Jetzt saß sie dort in ihrem Zimmer hinter dem Fenster, so wie jeden Abend, und sah sich Vom Winde verweht auf Video an und wünschte sich, nur ein kleines bisschen so wie Scarlet O’Hara sein zu können. Am Ende des Filmes würde sie wieder weinen, obwohl sie ihn schon zum 53sten Mal sah, aber der Film war ja auch nicht der Grund, warum sie weinte. Er war nur der Vorwand, die Berechtigung, weinen zu dürfen. In ihrem Leben hatte es nie auch nur annähernd einen Rhett Butler gegeben und die Hoffnung, dass noch einer kommen würde, wurde mit jedem Tag ein wenig kleiner. Es müsste ja noch nicht einmal ein Rhett Butler sein, nur irgendjemand, der sie liebte und ihr das Gefühl gab, für mehr als nur den Verkauf von Brotaufstrich gebraucht zu werden. Jemand, der den Fernseher ausschalten würde und das Licht und ihr die Tränen von der Wange küsste, aber das war nur ein schöner Traum. An diesem Abend würde sie wie immer ihrem Fisch Tara eine gute Nacht wünschen und sich allein in den Schlaf weinen, und kurz bevor sie einschlief, käme sie vielleicht zu dem Entschluss, eine blöde Kontaktanzeige aufzugeben.
    Wenn alles gut lief, würde ihr vielleicht der Junge antworten, der eine Straße weiter wohnte und aus dessen Fenster Under the bridge von den Red Hot Chili Peppers klang. Er hatte die Repeat-Taste auf seinem CD-Player gedrückt und hörte dieses Lied schon seit drei Stunden. Er war nicht gerade ein hübscher Junge, aber niemand fand ihn so hässlich wie er sich selbst. Was er am meisten an sich hasste, war sein Gesicht. Er fand seine Nase zu groß, seine Augen zu klein, seinen Mund zu schmal, sein Kinn zu spitz, seine Ohren zu rot und sein Haar zu dünn. Nach einer Gesichtsoperation würde er gerne so aussehen wie Keanu Reeves, weil alle Mädchen jetzt für Keanu Reeves schwärmten. Zwei Monate zuvor war es noch Tom Cruise und davor Mel Gibson, aber zurzeit war es eben Keanu Reeves, den die Mädchen anhimmelten, und genau das wollte er auch einmal erleben. Das Problem bei der ganzen Sache war: Selbst wenn er ausgesehen hätte wie Keanu Reeves oder Tom Cruise oder sonst wer, wäre er dadurch keinen Meter weitergekommen. Er war einfach zu schüchtern, zu unsicher; er verstand es einfach nicht, sich bei den Mädchen interessant zu machen. Wenn er abends mit Freunden ausging, und es saßen Mädchen am Tisch, brachte er kein Wort heraus. Sie findet mich sowieso zu hässlich, dachte er dann. Sie würde nie jemanden so Hässliches wie mich anfassen oder küssen, dachte er den ganzen Abend lang und ging dann früh nach Hause, in dem Glauben, den Mädchen einen Gefallen zu tun, indem er sie von seinem Anblick befreite. Ich wollte schon an sein Fenster klopfen und ihm sagen, dass das alles Blödsinn war, aber mir hätte er sowieso

Weitere Kostenlose Bücher