Sonnenstürme
der kecken Nase und den großen Augen hätte langes Haar sie genauso aussehen lassen wie ihre Mutter auf den Bildern. Jan sprach nie über seine Frau in der Ferne – sie hatte sie vor langer Zeit verlassen, nachdem ein weiteres Projekt ihres Mannes gescheitert war. Orli wollte ihren Vater nicht an sie erinnern, und deshalb hielt sie ihr Haar kurz.
Sie wusste nicht, warum ihr Vater beschlossen hatte, sich ausgerechnet auf Dremen niederzulassen. Es war eine kalte Welt mit grauem Himmel. Die Leuchtkraft der veränderlichen Sonne hatte im Lauf von Jahrzehnten zugenommen und das Leben fast angenehm gemacht. An Wasser mangelte es Dremen nicht. Auf den Kontinenten gab es viele seichte Seen, deren Feuchtigkeit schnell und leicht verdunstete, wodurch sich oft Nebel und Regen bildeten. Holzpflanzen hatten sich hier nie entwickelt. Moose und ledrige Flechten bedeckten den Boden dort, wo sich keine kalten Sümpfe erstreckten.
Doch als Orli und ihr Vater eingetroffen waren, nahm die Leuchtkraft der veränderlichen Sonne ab. Jahr um Jahr war es kälter geworden, mit immer eisigeren Wintern. Während früherer abnehmender Phasen hatten sich Dremens Siedler auf Hilfslieferungen der Hanse verlassen können. Doch diesmal war wegen des Hydroger-Embargos alles anders.
Mit großen Hoffnungen hatte sich Jan mit Dremens Klima und Meteorologie befasst und einige Investoren davon überzeugt, dass sich in der feuchten, trüben Umgebung gentechnisch veränderte Pilze besser anbauen ließen als Getreide. Aus den importierten Sporen wuchsen große Blätterpilze, die essbares Fleisch lieferten, das zwar zäh und fad war, aber reich an Nährstoffen. Nach der Vorbereitung der Felder machte sich Jan mit allem Eifer ans Pflanzen. Wieder zeigte er zügellosen Optimismus.
Die erste Ernte ging weit über seine kühnsten Erwartungen hinaus, aber unglücklicherweise hatte er sich nicht darauf vorbereitet. Es gab nicht genug Arbeitskräfte oder automatische Maschinen, um die Pilze zu fällen, ihr Fleisch zu ernten und zu konservieren. Die Pilze wuchsen rasch, aber sie verwelkten ebenso schnell. Es kam auf das richtige Timing an.
Jan und Orli hatten rund um die Uhr geschuftet, bis zur Erschöpfung, doch die halbe Ernte war verfault. Jan war in die Stadt geeilt und hatte um Hilfe gebeten, konnte aber niemanden für die Arbeit auf den Feldern bezahlen. Schließlich war ihm nichts anderes übrig geblieben, als sein Land zu öffnen und allen Leuten die Möglichkeit zu geben, sich so viel zu nehmen, wie sie wollten – in der Hoffnung, wenigstens das Wohlwollen der anderen Kolonisten zu gewinnen, wenn er schon kein Geld bekam.
Die nicht geernteten Pilze auf den Feldern gaben ihre Sporen frei und sanken in den Morast. Während der nächsten Saison wuchsen noch mehr Pilze, reiften… und verfaulten.
Für Jan und Orli gab es zwar viel zu essen, aber sie hatten Dremens Nachfrage nach essbaren Pilzen überschätzt. Den Geschmack mochte eigentlich niemand, und nur wenige waren bereit, dafür zu bezahlen.
Dann brachte die abnehmende Phase immer kältere Winter, und aus dem bereits kalten Nebel wurde Graupel, und die Sümpfe verwandelten sich allmählich in Schneefelder. Während der letzten beiden Jahre war Orlis Welt ein frostiges, schmutziges Durcheinander gewesen. Als sie und ihr Vater jetzt über die Pilzfelder stapften, bedeckte eine dünne Eisschicht die Pfützen.
Orli blieb stehen und sah zu den Transportbehältern mit dem Pilzfleisch, das sie geschnitten und gestapelt hatten. »Wenn es wieder warm wird, sollten wir etwas anderes anbauen, Vater.«
»Ich habe schon darüber nachgedacht. Die traurige Tatsache ist: Wir werden diese Pilze nie wieder los. Wir müssten alles anzünden, um den Boden vorzubereiten und alle ruhenden Sporen abzutöten. Ich fürchte, wir sitzen auf den Pilzen fest.«
»Dann werde ich versuchen, neue Rezepte zu entwickeln.«
»Lass dich aber nicht zu lange von deiner Musik abhalten.« Jan wölbte die Brauen. »Eines Tages wirst du eine berühmte Konzertmusikerin sein, das weiß ich.« Sein Kompliment wärmte Orli das Herz, obwohl sie nicht wusste, wie sie auf Dremen den großen Durchbruch erzielen sollte.
Sie wollte seiner Fröhlichkeit jedoch keinen Dämpfer versetzen. »Eines Tages.«
Sie gingen zu den vollen Behältern und schlossen sie, um sie vor dem Wetter zu schützen. »Genug für heute, Mädchen. Lass uns heimkehren. Du verdienst eine Pause.«
»Und ich muss die Hausaufgaben erledigen.«
»Nach dem Essen nehme ich
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