Sonnensturm
ich bin so
aufgeschlossen, um die Existenz Außerirdischer als
Möglichkeit zu akzeptieren. Aber was Sie beschreiben, ergibt
in psychologischer Hinsicht keinen Sinn. Wieso sollten
diese hypothetischen Erstgeborenen uns vernichten wollen?
Und selbst wenn es so wäre, wieso sollten sie Ihnen dann
diese Hinweise geben und Eindrücke vermitteln? Wieso sollten
sie einen von uns warnen – und wieso gerade Sie… ?«
Doch während sie noch sprach, fiel Siobhan eine
mögliche Antwort auf ihren Einwand ein.
Weil es Splittergruppen unter diesen Erstgeborenen gibt. Weil sie auch nicht einiger sind und keine einheitlicheren
Ansichten vertreten als die Menschheit – wieso sollte eine
fortgeschrittenere Intelligenz unbedingt homogen sein? Und weil
es zumindest ein paar von ihnen gibt, die es für falsch
halten, was da läuft. Eine Splittergruppe, die uns durch
diese Frau, Bisesa, warnen will.
Diese Frau könnte verrückt sein, sagte Siobhan sich.
Auch nach dem Treffen mit ihr war sie zu neunzig Prozent davon
überzeugt. Aber ihre Geschichte ergab zumindest einen
gewissen Sinn. Und wenn sie Recht hatte? Was, wenn eine
Untersuchung wirklich Beweise erbrachte, die ihre Aussagen
stützten? Was dann?
Bisesa beobachtete sie, als ob sie ihre Gedanken läse.
Siobhan traute sich nicht, noch etwas zu sagen und eilte
davon.
Als sie in den Ratsraum zurückkam, fiel der
Geräuschpegel der Unterhaltung zwischen der Galerie der
Köpfe etwas ab. Sie ging in die Mitte des Raums und
ließ den Blick schweifen. »Sie verhalten sich alle
so, als ob Sie sich wegen irgendetwas schämen
würden.«
»Vielleicht stimmt das sogar, Siobhan«, sagte Bud.
»Es zeichnet sich nämlich ab, dass die Dinge doch
nicht so schlecht stehen, wie wir sie dargestellt hatten.
Für das Problem des Sonnendrucks und der Positionierung hat
einer von uns eine Lösung gefunden. Glauben wir
jedenfalls.«
»Wer denn?« Siobhan schaute Rose Delea an.
»Rose. Sie doch nicht etwa.«
Rose wirkte tatsächlich verlegen. »Die
Initialzündung war unser letztes Gespräch. Als ich
sagte, dass wir kein Problem hätten, wenn das Sonnenlicht
den Schild direkt durchdringen würde. Ich hatte noch einmal
nachgedacht. Es gibt eine Möglichkeit, wie wir den
Schild transparent machen könnten. Wir reflektieren das
Sonnenlicht nicht. Wir lenken es ab… «
Der Schild sollte durchsichtig sein und auf einer Seite von
feinen parallelen Rillen durchzogen werden: Prismen.
»Aha«, sagte Siobhan. »Und jeder Strahl des
Sonnenlichts würde abgelenkt. Wir würden keinen Spiegel
bauen, sondern eine Linse, eine riesige Fresnellinse.«
Es würde sich um eine durchsichtige Linse handeln, die
das Sonnenlicht leicht ablenkte; nur um ein Grad oder noch
weniger. Aber das würde schon ausreichen, um die Erde von
der Wucht des Sonnensturms zu verschonen. Zumal eine Linse nur
den Bruchteil des Photonendrucks eines reflektierenden Spiegels
aushalten müsste.
»Das stellt auch keine größere
fertigungstechnische Herausforderung dar als unsere jetzige
Konstruktion«, sagte Rose. »Aber die Gesamtmasse
wäre viel geringer.«
»Also befinden wir uns wieder im Bereich machbarer
Konstruktionslösungen?«, fragte Siobhan.
»Volle Kanne«, sagte Bud strahlend.
Siobhan schaute sich um. Nun sah sie Unrast in ihren
Gesichtern, sogar Begierde; sie vermochten es kaum zu erwarten,
zu ihren Leuten zurückzukehren und diese neue Idee in die
Praxis umzusetzen. Es war ein gutes Team, sagte sie sich voller
Stolz – das beste, das es gab, und sie konnte sich darauf
verlassen, dass sie diese neue Idee auf ihre Tauglichkeit
überprüften und ins Design und das
Konstruktionsprogramm integrierten. Doch bis dahin wäre
schon das nächste Problem aufgetreten, und sie würden
sich alle wieder hier versammeln.
»Noch eine gute Nachricht, bevor wir uns
vertagen«, sagte sie. »Ich habe vielleicht auch schon
eine Lösung für das
Nanotech-Fertigungsproblem.«
Große Augen blickten sie an.
Sie lächelte. »Ich werde Ihnen die Details mailen,
wenn es etwas konkreter geworden ist. Danke Ihnen allen. Die
Sitzung ist beendet.«
Die Schirme wurden der Reihe nach dunkel.
»Sie alter Fuchs«, sagte Toby grinsend.
»Man muss sie immer etwas anfüttern.«
»Stimmt das mit der Smartskin überhaupt?«
»Es muss noch getestet werden, aber ich glaube
schon.«
»Wissen Sie«, sagte Toby, »in mathematischer
Hinsicht ist L1 ein Wendepunkt – ein Punkt, wo eine Kurve
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