Sonnensturm
hielten.
Und inmitten all dessen war Leutnant Bisesa Dutt – ein
weiteres Mysterium für Siobhan.
Sie kam an Bisesas Tisch, setzte sich und bestellte bei der
Bedienung einen Kaffee.
»Vielen Dank, dass Sie Zeit für mich haben«,
eröffnete Bisesa. »Ich weiß, wie
beschäftigt Sie sein müssen.«
»Ich bezweifle, dass Sie das wissen«, sagte
Siobhan kläglich.
»Aber«, sagte Bisesa ruhig, »ich glaube,
dass ich mit meinem Anliegen bei Ihnen genau an der richtigen
Adresse bin.«
Siobhan nippte am Kaffee und versuchte sich ein Bild von
Bisesa zu machen. In ihrer Eigenschaft als Königliche
Astronomin hatte man immer schon von ihr erwartet, mit Menschen
umzugehen – manchmal mit Tausenden auf einmal, wenn sie zum
Beispiel öffentliche Vorträge hielt. Seitdem sie jedoch
von Miriam Grec mit mehr oder weniger sanftem Druck in diese
außergewöhnliche Verantwortungsposition bugsiert
worden war – als eine Art Generaldirektorin des
Schild-Projekts –, glaubte sie, dass ihre Fähigkeit
zur Einschätzung anderer Menschen sich noch verbessert
hatte: Je eher man erkannte, mit wem man es zu tun hatte, desto
schneller vermochte man auch zu reagieren.
Und hier war nun Bisesa Dutt, Offizierin außer Dienst,
weitab von ihrem Einsatzort. Sie hatte einen indischen Einschlag.
Ihr Gesicht war symmetrisch, die Nase lang und der Blick war
fest, aber verstört. Sie war knapp über
mittelgroß und hatte die straffe Haltung einer Soldatin.
Aber sie war hager, sagte Siobhan sich, als ob sie in der
Vergangenheit Hunger gelitten hätte.
»Sagen Sie mir, wieso ich der richtige Adressat für
Sie bin«, sagte Siobhan.
»Ich kenne das Datum des Sonnensturms. Das genaue Datum.«
Weil die Behörden unter der Anleitung von
Psychologen-Teams nach wie vor bemüht waren, möglichst
jede Panik zu vermeiden, war das noch immer ein gut
gehütetes Geheimnis. »Bisesa, wenn es ein
Sicherheitsleck gibt, ist es Ihre Pflicht, mir das zu
sagen.«
Bisesa schüttelte den Kopf. »Kein Leck. Sie
können es gern überprüfen.« Sie hob einen
Fuß und tippte mit dem Fingernagel gegen die Sohle.
»Ich bin markiert worden. Die Armee überwacht mich,
seit ich mich gestellt habe.«
»Sie haben sich unerlaubt von der Truppe
entfernt?«
»Nein«, sagte Bisesa geduldig. »Man glaubte
nur, ich hätte mich unerlaubt entfernt. Nun habe ich aus
familiären Gründen Sonderurlaub, wie sie es nennen.
Aber ich werde trotzdem überwacht.«
»Und das Datum…«
»Den 20. April 2042, meinen Sie?«
Siobhan musterte sie. »OK, ich habe angebissen. Woher
wissen Sie das?«
»Weil es an diesem Tag eine Sonnenfinsternis
gibt.«
Siobhan hob die Augenbrauen. »Aristoteles?«,
murmelte sie.
»Sie hat Recht, Siobhan«, wisperte Aristoteles ihr
ins Ohr.
»OK. Aber was soll’s? Eine Sonnenfinsternis ist
nur eine Aufreihung von Sonne, Mond und Erde. Sie hat nichts mit
dem Sonnensturm tun.«
»Hat sie doch«, sagte Bisesa. »Auf der
Heimreise wurde mir eine Sonnenfinsternis
gezeigt.«
»Ihre Reise.« Siobhan hatte nur einen
flüchtigen Blick auf Bisesas Akte geworfen. Sie hatte sich
spontan zu dem Treffen mit ihr entschieden, um der Telekonferenz
für eine Weile zu entkommen. Nun bedauerte sie es.
»Ich kenne die Geschichte in Auszügen. Sie hatten eine
Art Vision…«
»Keine Vision. Ich will keine Zeit mit
Erläuterungen verschwenden. Sie haben die Dateien; wenn Sie
mir glauben, prüfen Sie sie später. Im Moment
müssen Sie mir einfach nur zuhören. An dem Tag, als ich
zurückkehrte, wusste ich, dass der Erde etwas
Schreckliches zustoßen würde. Und indem sie mir die
Sonnenfinsternis zeigten, machten sie mir klar, dass es etwas mit
der Sonne zu tun hatte.«
»Sie…?«
Bisesas Gesicht umwölkte sich, als ob sie selbst nicht so
recht daran glaubte – und als ob sie sich wünschte, es
nicht glauben zu müssen. Aber sie ließ sich nicht
beirren. »Professor McGorran, ich glaube, dass der
Sonnensturm kein Zufall ist. Ich glaube vielmehr, dass er die
Folge einer vorsätzlichen Schädigung durch eine fremde
Macht ist.«
Siobhan schaute ostentativ auf die Uhr. »Welche fremde
Macht?«
»Die Erstgeborenen. So haben wir sie jedenfalls
genannt.«
»Wir?… Egal. Ich nehme nicht an, dass Sie
irgendeinen Beweis haben.«
»Nein… und ich weiß auch, was Sie denken.
Leute wie ich haben nämlich nie einen Beweis.«
Siobhan gestattete sich ein Lächeln, weil sie genau das
gedacht hatte.
»Aber die
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