Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sonnenwende

Sonnenwende

Titel: Sonnenwende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
richtig Spaß am Sex hatten? Nicht solche wie Sandra, für die es harte Arbeit war, sondern welche, die es genossen? Tom musste einen Schuldkomplex haben: Er kam sich bereits wie eine Bestie vor, wenn er Helen die Hand auf den Bauch legte.
    Er musste los, länger konnte er Wladimir nicht warten lassen. Bevor sie sich verabschiedeten, erzählte ihm Johanna, dass eine Freundin von ihr am Mittwoch eine Vernissage veranstaltete. Danach könnten sie noch in eine neu eröffnete Bar gehen, von der Johanna gehört hatte. Helen würde von morgen an für den Rest der Woche auf einer Fortbildung sein, irgend etwas Chirurgisches, wofür sie sich neuerdings interessierte. Es wäre einfach. Tom zögerte und kam sich furchtbar pubertär vor.
    Johanna war enttäuscht. Weshalb brauchte er so lange, um sich zu überlegen, ob er mit ihr ausgehen wollte?
    »Lass mich raten: Du hast eine Freundin?«
    Ein-und-zwan-zig, zwei-und-zwan-zig … Nicht, dass Tom ernstlich erwogen hätte, Helen zu verleugnen, aber die Antwort hätte schneller kommen können.
    »Ja.«
    »Aber – es läuft nicht.«
    »Könnte man so sagen. Wir lieben uns, aber wir … na ja … begehren uns nicht mehr.«
    Jedenfalls sie mich nicht.
    Johanna war genervt. Immer dieselbe Leier. Weshalb nur mussten Männer sich immer erst zu Märtyrern und Opfern ihrer Beziehungen stilisieren, damit sie vor sich einen Seitensprung rechtfertigen konnten? Das war so ermüdend! Außerdem interessierte es niemanden.
    Tom war im Begriff, zu einem weitschweifenden Erklärungsversuch anzusetzen, aber Johanna schnitt ihm das |106| Wort ab. Sie wollte ihm gerne eine Chance geben, aber wenn er jetzt die Ich-weiß-was-ich-jetzt-mache-ist-falsch- oder, schlimmer noch, die Ich-weiß-nicht-was-ich-tun-soll-Gebetsmühle in Gang setzte, würden alle Illusionen zu Staub zerfallen.
    »Was ist jetzt mit Mittwoch? Kommst du mit?«
    »Auf jeden Fall.«
    Abends neben Helen im Bett fühlte Tom sich viel schäbiger als nach dem Fiasko mit Sandra. Dabei hatte er mit Sandra … gefickt traf es wohl am besten, und mit Johanna nur gefrühstückt. Aber man konnte sich auch für etwas schuldig fühlen, bevor man es getan hatte.
    Helens Verabschiedung am nächsten Morgen war spröde, dabei würde sie für fünf Tage weg sein: »Also, mach’s gut. Bis Sonntag.«
    Sie küsste ihn auf die Wange und strich ihm über den Oberarm. Keine Ahnung, was er diesmal wieder falsch gemacht hatte, aber fast war er ihr dankbar. Beim Arbeiten zerfetzte er das Stromkabel, als er mit der Schleifmaschine darüberfuhr.
    ***
    Johanna hatte Tom ihre Adresse gegeben. Um drei Minuten vor acht drückte er den Klingelknopf. Messing. Ihre Schritte kamen durch den Flur, dann ging die Tür auf. Die untergehende Sonne durchflutete ihre Wohnung, im Gegenlicht sah sie wie eine Heilige aus. Die heilige Johanna, dachte er. Warm und lieblich drang das Licht auf den Treppenabsatz, Tom war völlig bezuckert. Sie war wunderschön, eine Verheißung, wie sie dastand und lächelte, der Staub tanzte um sie herum in einem Kegel aus honigfarbenem Licht, und langsam sollte er etwas sagen, aber alles, was er hätte sagen können, wäre unangemessen gewesen, lächerlich, bedeutungslos. Er betrachtete |107| die feinen Härchen an ihren Unterarmen und die tiefen Schatten, die ihren Hals und ihre Schulter in eine geheimnisvolle Landschaft verwandelten, sehnsüchtige Musik erfüllte ihre Wohnung, und so, wie sie ihn jetzt ansah, sollte er wirklich langsam etwas sagen, aber er konnte nicht, denn er war gerade ganz fasziniert von ihren Schlüsselbeinen, die sich unter ihrer matt glänzenden Haut abzeichneten, und den schlanken Armen und dachte, dass sie verdammt lange an dem Pullover gestrickt haben musste, den sie damals getragen hatte, bis die Ärmel länger geworden waren als
diese
Arme, und sie zeigte wieder diesen schmalen Streifen Haut über der Hose, der wie ein Gürtel aussah, bis dieses schwarze Trägerdings anfing, und wenn sie ihn nicht für völlig debil halten sollte, dann
musste
jetzt etwas kommen, also sagte er: »Ich habe nachgedacht«, seine Kehle fühlte sich an wie in ein Korsett geschnürt.
    »Ist mir auch schon passiert. Und?«
    »Wir sollten es tun.«
    »Wir sollten
was
tun?«
    Ihre Augenbrauen wölbten sich, als hätte er etwas über die Funktionsweise von Teilchenbeschleunigern erzählt. Seine Hilflosigkeit schmeichelte ihr.
    »Du weißt schon – Sex. Wir sollten Sex haben. Heftigen Sex, jede Menge.«
    »Jetzt sofort?«
    »Meine Begierde

Weitere Kostenlose Bücher