Sonntags bei Tiffany
Zweitens werde ich für die Aufnahmen am Montag nicht mehr in die Kleider passen, und drittens werde ich rausgeschmissen.«
Michael lachte. »Jedes Unglück hat auch sein Gutes. Dann studierst du Vollzeit, machst deinen Abschluss und wirst noch eher eine wunderbare Lehrerin.«
Sie nahm einen Löffel von ihrem Eis â einen groÃen Löffel voll â und verzog ihr Gesicht mit dem Eis zwischen den Zähnen, wie es nur wunderbare Models und kleine Kinder tun können, ohne auf Erwachsene unanständig zu wirken. Hm, vielleicht können das nur Models tun. »Meinst du?«, fragte sie.
»Natürâ¦Â« Plötzlich starrte Michael quer durchs Restaurant.
»Erde an Michael«, meldete sich Claire. »Ground Control to Major Tom.«
Michael starrte noch immer hinüber und dachte: Das kann doch nicht wahr sein. Das darf nicht wahr sein.
Einen Moment lang bekam Michael Panik, bis er sich sagte, dass dies nur ein Zufall war. Sie konnte sich nicht an ihn erinnern. Das taten sie nie. Immer, wirklich immer vergaÃen sie alles. Das machte die Sache erträglich.
Er senkte den Blick und beschäftigte sich mit der Speisekarte.
Dann spürte er, dass sie neben ihm am Tisch stand. Lässigkeit vortäuschend, blickte er auf.
Ihre dunklen Augen waren weit aufgerissen, ihr hübsches Gesicht war blass. »Michael«, sagte sie.
Er erwiderte nichts. Er brachte keinen vollständigen Satz zusammen. Und keinen zusammenhängenden Gedanken.
Wieder sprach Jane. Nicht das kleine Mädchen Jane, sondern die erwachsene Frau.
»Michael? Du bist es doch, oder? O mein Gott, Michael? Du bist da.«
SECHSUNDDREISSIG
M eine Stimme war, gelinde gesagt, zittrig und rau, sodass ich mich beinahe selbst nicht wiedererkannte. Ich war kurz davor, mich völlig zu blamieren. »Du bist doch Michael, oder?«, fragte ich noch einmal und dachte, dass ich mich umdrehen und fortrennen musste, wenn ich falsch lag.
Er holte tief Atem. »Du kennst mich?«, fragte er. »Bist du sicher?«
O Gott, es könnte tatsächlich wahr sein. »Natürlich kenne ich dich. Ich würde dich überall erkennen.«
Und dann sagte er meinen Namen, einfach so: »Jane?«
Das Astor Court war ein groÃes Restaurant, doch ich fühlte mich beengt. Auch die Geräusche waren etwas abgedreht. Alles kam mir, gelinde gesagt, plötzlich so unwirklich vor. Das hier konnte nicht wahr sein, war es aber.
Die schöne Frau, mit der Michael am Tisch saÃ, wischte sich mit einer Serviette über den Mund und erhob sich. »Ah, die geheimnisvolle Jane«, sagte sie freundlich. »Ich muss gehen, Michael. Danke für das Eis und den Ratschlag.« Sie lächelte mich an. Ich musste blinzeln, weil sie wirklich viel schöner war als ich. »Setz dich bitte, Jane.«
SECHSUNDDREISSIG
Als auch Michael sich erhob, hatte ich Angst, er würde ebenfalls gehen. Diesmal würde ich es nicht zulassen wie damals als Neunjährige. Diesmal würde ich mich auf einen Zweikampf einlassen, gleich hier im Astor Court, wenn es sein musste. Auf dem Orientteppich.
Doch Michael deutete auf den leeren Stuhl. »Bitte, setz dich, Jane. Jane Margaux.«
Ich setzte mich, dann blickten wir einander an. Es war, als säÃe ich jemandem aus einem Traum, einer Phantasie oder einer Person aus einem Roman gegenüber. Wie war das hier möglich?
Mir fiel keine logische Antwort ein. Zum Glück hatte ich mit zwölf Jahren das logische Denken aufgegeben, als mir klar geworden war, dass ich Simon Le Bon nie heiraten würde. Michael schien noch immer zwischen dreiÃig und fünfunddreiÃig zu sein, und auf seiner Nase prangten dieselben Sommersprossen. Seine Augenbrauen, seine Ohren, sein Haar, seine Augen â alles war noch genauso wie damals. Diese wunderschönen grünen Augen, die freundlichsten Augen, die ich je gesehen hatte. In diese Augen hatte ich eine Million Mal geblickt, und jetzt blickte ich wieder in sie hinein. Sie waren so unglaublich grün.
Die nächste Frage hätte meinerseits nicht ehrlicher sein können. Es ging um etwas, das ich unbedingt wissen musste. »Michael, bist du eine Imagination?«
Er machte ein verlegenes Gesicht. »Ich denke, das ist Ansichtssache.«
»Was tust du hier? Wieso ist das möglich?«
Er breitete die Hände aus. »Ehrlich, ich habe keine Ahnung.
Ich bin gerade in New York ⦠und warte ⦠auf meinen
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