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Sonst kommt dich der Jäger holen

Sonst kommt dich der Jäger holen

Titel: Sonst kommt dich der Jäger holen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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gesehen hatte, doch damals war der Krater auf dem Rücken sehr viel größer gewesen, der Rücken ein einziger Krater. Franz Brandl vergrößerte das Loch, um es vom Schmutz zu reinigen oder vielleicht einen glatten Durchschuss zu markieren, so genau wollte ich das gar nicht wissen. Dann schnitt er das Herz aus dem Leib, Körper, Leichnam, Kadaver und wog es kurz in der Hand.
    »Magst mal halten?«, fragte er mich. »Ist noch warm. Das ist quasi der Motor.«
    »Nein, danke«, lehnte ich ab.
    Probeweise schnitt er in das Herz und nickte zufrieden. »Passt. Wenn da was drin wär, was Eitriges oder so, dann müsst ich das ganze Reh wegschmeißen.«
    »Wegschmeißen«, echote ich.
    »Freilich«, sagte er.
    Herz, Leber und Nieren legte er nach seiner Prüfung in das Waschbecken. Leber und Nieren waren mir vertraut, weil ich bereits mehrere Male die Katze einer Nachbarin gefüttert hatte. Dienstags Nieren, freitags Leber. Sonst Dose und zwischendurch Trockenfutter.
    »Jagt wenigstens der Benny noch manchmal mit Ihnen?«, blieb ich meinem Thema auf der Spur.
    »Schmarrn. Schon lang nicht mehr. Der hat alles gemacht, was die Walli wollt, und wie die nicht mehr wollen hat, war das für den auch gegessen. Mei Frau hat gesagt, des wär alles besser gewesen, wenn der ihr mehr Widerstand geboten hätte. Frauen mögen des. Sagt mei Frau.«
    »Aha«, sagte ich.
    »Oda?«, fragte er.
    »Freilich«, sagte ich.
    »Eben. A Frau will ja kein Waschlappen, sondern an echten Kerl.«
    Ich dachte an den Benny mit der Baggy. Von einem echten Kerl war er mindestens dreißig Zentimeter entfernt.
    »So ein Waschlappen hat natürlich auch Vorteile«, führte Franz Brandl aus. »Da bist du der Chef. Und die Walli, das war eine Chefin. Aber sie hätt halt einen gebraucht, der wo dagegenhält. Der Benny, der hat nix auf die Beine gestellt. Nur gejobbt. Überall neigschmeckt, nix durchgehalten. Obwohl er von der Anlage her eine ganz ehrliche Haut ist. Hast du an Freund?«
    »Halb.«
    Er lachte. »Brauchst ja kein, gell. Hast ja dein Fury.«
    »Flipper.«
    »Ja, genau, der Flipper.« Franz Brandl schmunzelte und setzte die Fleischbeschau fort, indem er mit seinen blutigen Händen durch das Gedärm wühlte, ehe er es zu den Hoden in den Eimer gleiten ließ. Flatsch.
    »Ekelt Sie das denn gar nicht?«, fragte ich.
    »Was soll mich da ekeln? Es ist das wunderschöne Werk Gottes. Es ist perfekt.«
    »Schön war es in Freiheit, jetzt ist es tot.«
    »Das ist schon ganz woanders.«
    »Bei der Walli?«
    »Ko scho sei. Pack moi mit an.«
    Er hob das Reh hoch und bedeutete mir, es zu halten, während er mit einem Messer mit rotem Griff die Hinterbeine des Rehs zwischen Knochen und Sehnen entlang aufschlitzte. Als der Fleischerhaken in seiner Hand aufblitzte, wendete ich meinen Blick ab.
    »Danke«, sagte er und hängte den Bock an den Beinen kopfüber auf. Hin und her pendelte sein Kopf. Ein dünner Faden Blut lief aus dem Maul.
    »Zwölf Kilo«, stellte Franz Brandl fest, und erst jetzt sah ich die Waage. Er nickte befriedigt, hängte das tote Tier in der gekachelten Ecke über einem Ablauf im Boden an einen Haken und brauste es vorsichtig ab, wobei er den Brausekopf immer wieder von innen nach außen führte. Blutiges Wasser rann aus dem Körper des Rehs, vom aufgeschlitzten Bauch beginnend nach unten.
    »Wenn mir früher fertig waren, die Walli und ich«, erzählte Franz Brandl mir, »hamma uns a Handwerkerschnitzel beim Metzger geholt.«
    »Was?«
    »A Leberkässemmel.«
    »Ich wär dabei«, sagte ich, zu allem bereit.
    »Aber den Metzger, den gibt’s nicht mehr. Weil nix mehr so ist, wie’s mal war.«
    »Wie ist der Unfall eigentlich genau passiert?«, fragte ich. »War das Auto kaputt? Haben die Bremsen versagt?« Ich stellte mir vor, dass Bremsenversagen bei Russen als beliebter Beseitigungsbeschleuniger galt.
    »Es war nicht ihr Auto. Es war des Auto vom Benny. Der hat an dem Tag ein Vorstellungsgespräch gehabt. Da hat sie ihm ihren Passat geliehen, der war ja praktisch neu, ein Kombi, und mit seiner Scheesn hätt er keinen guten Eindruck gemacht. Er hat den Wagen aber nicht wie ausgemacht am Mittag zurückgegeben, und da ist die Walli mit seinem Auto zum Agility gefahren. Der hat keinen Airbag gehabt. Das war ein alter Golf 2, an und für sich, heißt es, ein pfenninggutes Auto, aber nicht für einen Unfall ausgelegt, und die Laika hat auch keine Transportbox gehabt.«
    Ich starrte Franz Brandl an.
    »Das heißt, Benny ist vielleicht ein bisschen

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