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Sonst kommt dich der Jäger holen

Sonst kommt dich der Jäger holen

Titel: Sonst kommt dich der Jäger holen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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zu mir. Ich las die Frage in seinem Blick, ob er jetzt die Pfote wieder absetzen könnte. Vielleicht wollte er aber auch nur ein Leckerli. Ich kramte in meiner Tasche.
    »Warten Sie!«, rief die Frau und hastete zu einem Tischchen, auf dem diverse Gartengerätschaften und Arbeitshandschuhe lagen. Sie nahm eine Erdnussdose, öffnete sie, schüttete ein paar Nüsse in ihre hohle Hand und lockte Flipper zu sich.
    »Bitte keine Nüsse«, sagte ich schnell.
    »Da sind doch keine Nüsse nicht drin. Das sind Leckerlis! Na, du schöner schwarzer Kerl du, komm mal her.«
    Flipper schaute mich an. Ich nickte. Langsam ging er zu der Frau, setzte sich vor sie und nahm sehr manierlich drei Frolic entgegen. Dann leckte er sich in Ermangelung einer Serviette über die Schnauze und wartete auf Nachschub. Die Frau streichelte seine seidigen Ohren, verlor sich ganz in der Berührung. »Dass der sich vor das Grab gesetzt hat! Das hat ausgesehen, als wollte er seine Aufwartung machen. Und wie der Pfote gehoben hat. Wie ein Vorsteher. Nein, so was habe ich noch nie gesehen. Wollen Sie ein Glas Wasser? Ist ganz schön warm heute.«
    »Gern«, sagte ich.
    Fünf Minuten später saßen wir in der Laube. Irgendwo im Haus lief Kaffee durch, der ofenwarme Zwetschgendatschi stand bereits auf dem Tisch, und Flipper hatte einen ganzen Napf voll irgendwas bekommen. Normalerweise bin ich strikt gegen Zwischenmahlzeiten. Doch hier gehörten sie zum Türöffner. Selbstverständlich würde sein Abendessen heute ausfallen. Frau Brandl, wie sie sich mir vorgestellt hatte, »ich bin die Brandl Maria«, lief ins Haus, um Zucker und Milch zu holen.
    »Nur Milch«, rief ich ihr nach.
    »Zucker beruhigt die Nerven«, erwiderte sie, und ich hatte Gelegenheit, das Haus ausgiebig von außen zu betrachten. Im Fünfseenland stehen viele Schmuckstücke, doch das hier war besonders schmuck, und es lag nicht allein an den Holzbalkonen, den Erkern und den großen Fenstern. Es lag nicht nur an den Spalierrosen und Geranien in allen Rottönen, an den Astern und Dahlien und Monstersonnenblumen am grün gestrichenen Zaun und dem in jedem Winkel prachtvoll blühenden Garten. Es waren vor allem die überall versteckten Kleinigkeiten. Ein Springbrunnen, bunte Zierkugeln, antik anmutende Vasen, Arrangements aus charaktervollen Steinen. So würde ich auch gern wohnen, aber ohne die viele Arbeit, die das machte, daran scheiterte bei mir jegliche Gemütlichkeit. Sicher verbreiteten Teppiche Behaglichkeit. Doch praktischer war das blanke Parkett. Sicher war Krimskrams gemütlich. Doch man musste ihn auch abstauben. zumindest könnte ich mir ein, zwei Kissen für mein Sofa zulegen, beschloss ich wieder mal.
    Trotz aller Idylle, glücklich war Frau Brandl nicht. Das große Leid, das ihr widerfahren war, hatte keinen Platz mehr in ihr und drängte nach außen. Da war ich gerade recht gekommen. Noch dazu war ich im Alter von der Walli. »Neunundzwanzig?«
    »Dreiunddreißig«, sagte ich.
    Maria Brandl machte ihre Lippen ganz schmal. »So alt wird sie nimmer werden«, sagte sie, »keine dreißig«. Mich schauderte, und ich warf einen scheuen Blick zu dem Doppelbettgrab.
    »Am 17. Oktober ist es ein Jahr. Es war viel Laub auf der Straße, und bestimmt ist die Walli auch zu schnell unterwegs gewesen. Sie hat es immer so eilig gehabt. Danach denkt man sich dann auf einmal komisches Zeug, so was wie, dass sie in ihre kurze Lebenszeit viel zu viel hineinpacken musste. Als hätte sie was geahnt. Aber das ist natürlich ein Schmarrn. Wär sie nicht tot, würd das keiner denken, da würde sie als das gelten, was man sie geheißen hat, wie sie noch am Leben war: eine ganz eine Fixe.«
    »Das tut mir sehr leid«, sagte ich.
    »Danke«, sagte Frau Brandl. »Passen Sie gut auf sich auf. Denn wenn ein Kind stirbt, das bricht seiner Mutter und dem Vater das Herz.«
    »Ja«, sagte ich gepresst und fand mich ein bisschen merkwürdig, weil ich hier keinen kannte und trotzdem so traurig war. Was ist, wenn es keine Mutter und keinen Vater gibt, denen das Herz brechen kann?
    »Wenn das Kind weg ist, ist nichts mehr, wie es mal war, auch wenn man sich bloß am Wochenende gesehen hat. Das ist gegen die Ordnung. Kinder gehen nicht vor ihren Eltern. Diese Wunde heilt nie.«
    »Ja«, bestätigte ich erneut.
    »Aber erzählen Sie mir was von sich. Hören Sie auch so gern den blonden Geiger mit dem Pferdeschwanzund essen Sie gern Sushi, und was machen Sie beruflich?«
    »Ich bin Sportlehrerin«, sagte

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