Sonst kommt dich der Jäger holen
und her, die in einer Ecke ausgestellt waren.
»Es gibt Kurzwaffen und Langwaffen«, erklärte Sepp Friesenegger. An seiner Stimme hörte ich, dass er sich dafür entschieden hatte, eine kugelsichere Weste anzulegen. »Zu den Kurzwaffen zählen Pistolen und Revolver. Langwaffen, wie der Name schon sagt, haben eine längere Lauflänge. Mit ihnen zielt und trifft man besser, auch auf größere Distanz. Mit einer kurzläufigen Pistole schießt man eher auf ein nahes Objekt.«
Er wies auf ein schwarzes Gewehr: »Das ist ein Repetierer. Keine Schönheit, aber eines unserer besten Stücke.« Er nahm die Waffe aus der Halterung und reichte sie mir.
»So schwer!«, staunte ich.
»Das liegt an der Zieloptik. Die ist optional.«
Probeweise hielt ich die Waffe in Schussposition.
»Hinsetzen«, befahl Sepp Friesenegger und deutete auf den Stuhl vor einem kleinen Tisch mit Haltevorrichtung.
Brav nahm ich Platz.
»Auflegen.«
Ich legte den Lauf des Gewehrs in die dafür vorgesehene Holzkonstruktion.
»Schauen Sie durch das Zielfernrohr.«
»Ich sehe ein Kreuz.«
»Konzentrieren Sie sich auf den Kreis, nicht auf das Kreuz. Legen Sie Ihre Wange so dicht an den Schaft, dass der schwarze, runde Ring außen gleichmäßig, aber möglichst klein zu sehen ist. Er darf nicht auf der einen Seite dick und auf der anderen dünn sein.«
»Wenn jetzt ein Tier im Fadenkreuz stünde, würde ich es treffen?«
»Vielleicht.«
»Die Waffe ist viel schwerer, als ich mir das vorgestellt habe. Ich kann sie kaum ruhig halten. Das ist richtig anstrengend!«
»Die Wange anlegen«, befahl Sepp Friesenegger.
Ich ließ das Gewehr sinken. »Ist lange nicht so einfach, wie es im Fernsehen beim Biathlon ausschaut.«
»Nein«, strahlte Sepp Friesenegger. Ich hatte zugegeben, was er hören wollte. Schützen waren Helden. »Das will gelernt sein. Deshalb ist das Schießkino eine geniale Erfindung, die hoffentlich in naher Zukunft von noch viel mehr Jägern genutzt wird, damit alle immer besser werden. So gut, dass Tiere nur noch in seltensten Ausnahmefällen durch Schussfehler leiden müssen.«
»Kommen die denn öfter vor?«
»Nie. Jäger machen keine Fehler.« Er zwinkerte mir zu.
Eigentlich war er ein sympathischer Kerl, der Sepp. Vielleicht ein bisschen brunftig, aber im Großen und Ganzen in Ordnung.
»Wichtig ist es, nicht zu verreißen«, erläuterte er. »Und als Frau müssen Sie natürlich erst mal lernen, die Augen offen zu lassen.«
»Wie bitte?«
»Frauen machen beim Schießen oft die Augen zu. Ihnen fehlen halt die Nerven, weil es Überwindung kostet. Um gut zu schießen, um zu treffen, müssen Sie nicht an das Tier hinschauen, sondern in das Tier reinschauen. Sie verbinden sich mit dem Tier, um es zu töten, ziehen quasi eine Linie in das Tier hinein. Das muss man aushalten.«
»Also braucht man viel Selbstbewusstsein, um zu schießen«, resümierte ich. »Man muss sich über die Verantwortung klar sein. Man will das Tier ja töten.« Oder den Menschen, dachte ich. »Da darf der Entschluss nicht wanken.« Ich hatte das kaum ausgesprochen, da fiel mir auf, dass der Schuss im Wort Entschluss bereits anklang.
»Selbstbewusstsein oder Ignoranz und Dummheit«, ergänzte Sepp Friesenegger. »Wir haben so ein paar alte Opas auf dem Hundertmeterschießstand, die sind halb blind und treffen quasi nichts mehr, aber am Selbstbewusstsein mangelt es ihnen nicht. Natürlich brauchen sie kein Schießkino, und den Jagdschein haben sie wie den Führerschein auf Lebenszeit.«
»Mal sehen, wie wir uns benehmen, wenn wir in dem Alter sind«, erwiderte ich und reichte Sepp Friesenegger die Waffe. »Das wäre kein Hobby für mich. Nach dem Schießtraining müsste ich zur Physiotherapie. Das geht enorm in die Schultern, in den ganzen Rücken.«
»Drum tut Joggen so gut.«
Ich stand auf und streckte mich. »Das war sehr interessant, vielen Dank. Darf ich Sie auf einen Kaffee und Kuchen einladen? Oder habe ich Sie schon zu lang von Ihrer Arbeit abgehalten?«
»Ich kann mir meine Pausen einteilen, wie es passt. Ich muss noch kurz ein Telefonat führen, weil ich dann heute später zum Gießen komme.«
»Sie gießen Kugeln?«
Sepp Friesenegger prustete laut heraus.
»Ein Exkollege liegt im Krankenhaus, und ich gieße seinen Garten. Wollen Sie schon vorgehen in die Cafeteria, und ich ruf noch geschwind den Kreitmayer an?«
»Gern«, sagte ich, holte mir einen Cappuccino und einen Obstsalat und setzte mich in eine illustre Runde zwischen einen
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