Sophia oder Krieg auf See
und Corin fühlte, dass der Körper des Hünen nach unten absackte.
Roloff war tot.
Claas stand vor Corins Käfig und keuchte wie ein Galeerensklave, der soeben eine Ladung Buckelwale von Island in die baltische See gerudert hatte, alleine, ohne Pause und mit einer inkontinenten Zwergmöwe auf dem Kopf sitzend, obwohl letztere zugegebenerweise nicht ursächlich für die rasselnden Lungen zur Verantwortung gezogen werden konnte.
Der Kapitän des Roten Raben hielt sich den blutenden Arm mit seiner Waffenhand, die zusätzlich sein bluttriefendes Schwert umklammerte, mit dem er soeben Roloff getötet hatte.
Lange sahen sich Claas und Corin an, jeder in der Erwartung, der andere würde das eben Geschehene kommentieren, irgendwie reagieren, einen Dank aussprechen, eine Rechtfertigung, eine Erklärung, einen Vorwurf, eine Anschuldigung.
Nichts dergleichen geschah. Claas’ Atem beruhigte sich nur langsam, jetzt schnaufte er immerhin noch wie eine Seekuh nach zwei durchzechten Nächten.
Auf dem anderen Schiff brach wahnwitziger Jubel los. Claas schaute hinüber. Er sah Thore und einige andere Piraten, die die Fäuste und Waffen in die Luft reckten und vor Freude johlten.
Die letzten Seemänner des Frachters hatten aufgegeben, das Schiff gehörte ihnen.
61 In Fahrtrichtung l inks vorne
62 Genau von der Seite kommend
63 Von hinten kommend
64 Ferngläser gab es noch nicht
65 Tauwerk, welches die Masten hält und abspannt
66 Aus der norditalienischen Handelsstadt Lucca, nahe Pisa
67 Bedeutende Handelsstadt in den heutigen Niederlanden
68 Dreimastige Schiffe waren selten, aber es gab sie
69 Anderes Wort für Takelage, also alles, was Masten und Segel hält und trimmt
70 Hinterer Teil eines Schiffes
11 Sie war müde. So entsetzlich müde.
Die Glieder schmerzten, als ob ihre gesamte verbliebene Kavallerie über sie hinweg geritten wäre, aber nicht einmal, oh nein, denn es gab ja immer irgendjemanden in so einer Kavallerie, der was vergessen hatte, was dazu führen würde, das der Trupp umkehren, noch mal über sie rüberreiten, dann wieder umkehren und sie ein drittes mal platt galoppieren würde. Wenn dann einem Kavalleristen einfiel, dass er vielleicht doch noch mal auf den Abort müsse oder vielleicht den Kamin hatte brennen lassen…
»Gott«, begann sie murmelnd eine flehende Bitte, aber die Kraft reichte nicht, um den Satz zu beenden. Nein, eigentlich wusste sie auch gar nicht, um was sie mit realistischer Aussicht auf Erfüllung bitten sollte.
Ihr Kopf schmerzte. Ihr Hals schmerzte. Die Augen schmerzten.
In ihrer momentanen Haltung, sitzend, mit geschlossenen Augen, die schmerzende Stirn auf dem Unterarm ruhend, der sich wiederum auf einen kleinen Frisiertisch stützte, war es auszuhalten. Nur Schlucken wollte sie nicht. Bloß nicht schlucken und eine neue Welle Pein durch den Körper jagen.
Sie atmete. Vorsichtig. Langsam. Ruhig. Jede schnelle Bewegung konnte in neuen Qualen enden. Also Obacht. Bedächtig Luft holen, keinen Muskel rühren.
Keiner würde es wagen, sie hier in ihrem Zimmer zu stören, in der Dunkelheit. In dieser wunderbaren, herrlichen Dunkelheit.
»Muss man nicht nach dem Medikus schicken?«, fragte eine Stimme gedämpft. Die Worte waren leise, sehr leise, so als ob sich der Schall durch mindestens zwei geschlossene Türen beißen müsse.
Es knarrte. Und sie erinnerte sich. Sie war auf einem Schiff. Auf ihrem Flaggschiff. Sie hasste es, auf Schiffen zu sein, aber es ließ sich nicht vermeiden, in einem Reich, dessen bewohntes Gebiet zum Großteil aus Inseln und Halbinseln bestand.
Es knarrte nochmals. Ein widerliches Geräusch, rhythmisch, leise, mit viel zu langen Pausen, die einen immer wieder hoffen ließen, dass das Knarren nun vielleicht ausbleiben würde.
Aber es kam wieder, pünktlich. Knarrend. Knarzend. Immer wieder. Ziemlich leise. Viel zu laut.
»Nur der Herrgott vermag hier zu helfen«, antwortete eine zweite Stimme, ebenso dumpf und leise wie die erste.
Wer waren diese Leute? Wer redete so ein dummes Zeug daher, auf ihrem Schiff? Autsch. Nur nicht bewegen. Nur nicht bewegen. »Liebste Birgitta«, flehte sie ohne einen Ton von sich zu geben. Die heilige Birgitta von Schweden spielte eine ganz besondere Rolle in ihrem Leben und es war nur konsequent sich mit unerfüllbaren Wünschen nicht gleicht bei der allerhöchsten Instanz lächerlich zu machen. »Hilf mir. Gib mir Kraft«.
»Aber sie wird sterben«, flüsterte die erste Stimme. Plötzlich war ihr, als ob ein
Weitere Kostenlose Bücher