Sophies Kurs
war. Hier waren sie alle verschieden. Es gab große, kleine – einige trugen geteilte Röcke und Decken um die Schultern, andere wieder Zylinderhüte und Krinolinen. In ihrer menschlichen Staffage sahen sie ziemlich merkwürdig aus, als würde ihnen nichts so richtig passen.
Man konnte ihnen trotz all der schwarzen Kleider, die sie trugen, nicht anmerken, daß ihr Herrscher kürzlich gestorben war. Keiner wirkte traurig oder betroffen – im Gegenteil, ein paar von ihnen schienen sogar ausgesprochen guter Dinge zu sein. Doch die meisten machten wie alle Leute sonstwo ziemlich sorgenvolle Gesichter. In meinen Augen wirkten sie gedrückt, als trügen sie schwere unsichtbare Lasten. Aber vielleicht war das wirklich nur, wie Mr. Strake in seinem Buch behauptet, ein Charakteristikum dieser Rasse.
Mr. Cox schwieg verbissen, als wir schließlich eine Kutsche fanden. Er war aufgebracht, daß er einen Wagen mieten mußte, was ziemlich teuer war, und ärgerte sich über die unnötige Mühe und das allgemeine Durcheinander. Mr. Cox war immer für klare Sachen, bei ihm mußte immer alles am Schnürchen klappen. Ich setzte mich ihm gegenüber auf den Sitz. Er bemerkte, daß ich feuchte Augen hatte. »Laß deine Beileidsbekundungen, Bursche. Spar dir deine Tränen für das Begräbnis.« Er glaubte wohl, ich trauere um den Kaiser. Doch der Kaiser bedeutete mir nichts. Ich weinte wegen der Ophiq.
Der Kutscher gab den Eidechsen die Peitsche, und wir rumpelten los, die Straße entlang in die Stadt hinein. Es waren viele Leute unterwegs. Immer wieder erhoben sich Bettler aus dem Staub und baten mit flehenden Stimmen um Almosen. Einige streckten sogar ihre dünnen Hände durch das Fenster der Kutsche, bis Mr. Cox dem Kutscher befahl, mit ein paar Peitschenhieben den Weg freizumachen. Eine Zeitlang hatten wir dann auch Ruhe, und ich betrachtete alles ringsum in staunender Benommenheit.
Die Palmen überall um mich glichen hohen Besen mit ausgefallenen Haaren, deren große Kronen sich über die Straße breiteten. Ich sah eine hundert Fuß hohe Mauer, in die mit Ziegelsteinen der Körper eines gigantischen Käfers eingearbeitet war. Ich sah in den Zweigen der überdimensionalen Kakteen schuppige Wesen herumturnen und Flügel wie die von großen Fledermäusen ausbreiten, zu Boden schweben und irgendwelchen verrottenden, tropfenden Abfall aus den Rinnsteinen aufsammeln.
Im Stadtinnern waren die Straßen dunkel und vom Verkehr verstopft. Hier kamen französische Edelleute in
barouches,
dort Marsianer in schwankenden Sänften, und Holzkarren, hochbeladen mit großen schwarzen Pilzen, holperten feucht und stinkend durch das Ge wühl. Wir passierten große Vögel mit vier Beinen und langen Hälsen, auf deren Rücken Marsfrauen ritten. Sie trieben eine Horde barfüßiger Kinder vor sich her und ließen über ihren schorfigen Köpfen die Peitschen knallen. Fußgänger aller Spezies drängten sich auf den Gehwegen, aßen irgendwas oder starrten den Vorbeireitenden nach.
Nach einer Weile schien Mr. Cox seine gute Laune wiedergefunden zu haben. »Siehst du die da, Ben?« fragte er und zeigte nach draußen. Ich dachte zuerst, er zeige auf eine angekoppelte Eidechse, die im Abfall eine tote Ratte aufgestöbert hatte. Dann sah ich die Männer: schlanke, dunkelrote Männer, groß wie Mr. Crii, die Gesichter über und über mit Staub bedeckt, die Haare spitz aufgerichtet. Sie standen Rücken an Rücken und starrten ins Leere. Sie alle kauten auf irgend etwas herum. Als wir an ihnen vorbeikamen, konnte ich einen Blick auf die Frauen werfen, die mit angewinkelten Knien und abgewandten Gesichtern zu ihren Füßen hockten.
»Weißt du, was das für Leute sind?«
»Nein, Sir.«
»Es sind K'mecki, die wilden Marsianer«, klärte Mr. Cox mich auf. »Sie vagabundieren durch das Canyon-Land. Ihre Piloten haben sie hierhergeführt.« Seine Stimme klang spöttisch. Er zog sein Taschentuch hervor. »Erst als sie mit ihren mystischen Karten und ihren Moos-Doktoren in den Straßen von Ys auftauchten, wußte das Hohe Kaiserreich, daß sein Herr und Gebieter dahingegangen war.«
Mr. Cox breitete das Taschentuch auf seinen Knien aus und nahm eine Prise Schnupftabak. Auch nur tote Blätter, fuhr es mir durch den Kopf, kein Unterschied zu dem Moos, das die Marsianer kauten!
Doch ich hielt mich zurück, beobachtete ihn, wie er schnaubte und schnüffelte, und beschloß dann, mir auch eine weitere Pastille zu genehmigen.
In der Ferne zog langsam die
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