Sophies Melodie (German Edition)
unter halb gesenkten Lidern erwiderte er ihren Blick auf die gleiche Weise.
Perfekt wie Barbie, dachte Sophie mit einem Anflug von Sarkasmus, während sie die Braut betrachtete. Sie vergrößerte den Bildausschnitt, damit sie die Gesichter noch genauer betrachtenkonnte. Ja, Melanie Afra in ihrem prächtigen schneeweißen Kleid war wirklich hinreißend, doch der Bräutigam stand ihr in nichts nach. Constantin Afra trug ebenfalls Weiß. Das war nicht nur für den Anlass ungewöhnlich, sondern auch, weil der Sänger dafür bekannt war, dass er sich üblicherweise schwarz kleidete. Sein perfekt sitzender Anzug strahlte mit dem Brautkleid um die Wette und entsprach vollkommen der Mode der damaligen Zeit. Seine bronzefarbene Haut, die tiefschwarzen Haare und die dunkelrote voll erblühte Rose an seinem Revers bildeten neben dem herrlichen Brautstrauß den stärksten Kontrast auf dem Foto.
Natürlich hatte Sophie schon vorher gewusst, wie Constantin Afra aussah. In ganz Europa gab es wohl kaum einen Menschen, dem dieses Gesicht unbekannt war. Sie schmunzelte leicht und fuhr sich mit beiden Händen durch ihre kurzen dunkelbraunen Locken. „Fast zu schön, um wahr zu sein“, sagte sie leise zu sich selbst. Schöne Männer waren ihr schon immer suspekt gewesen. Dennoch verweilte ihr Blick eine ganze Weile, glitt dann auch noch einmal über das liebreizende Gesicht der jungen Frau an seiner Seite. Beiden Menschen konnte man ohne große Anstrengung die Liebe und das Glück von den Gesichtern ablesen. Ein heftiger Anflug von Mitleid durchfuhr Sophie unerwartet. Schon zwei Jahre nach diesen perfekten Aufnahmen hatte Constantin Afra seine bildschöne Frau bereits wieder verloren – und zu allem Überfluss verlor er am gleichen Tag auch noch einen guten Freund.
Die zweite CD endete hier, und Sophie wechselte abermals die Datenträger aus. Wie sie es bereits erwartet hatte, enthielt die dritte und letzte CD hauptsächlich Informationen zu genau diesem schrecklichen Tag.
An ihrem Todestag hielt sich Melanie Afra zusammen mit einem der besten Freunde ihres Mannes, Leonard Kampmann, in dessen Wochenendhaus auf. In fast jedem der vorliegenden Berichte war von einer Affäre der beiden die Rede. Viel wusste man jedoch nicht. Es hatte keinen Abschiedsbrief gegeben undoffensichtlich auch niemanden in der Öffentlichkeit, der von dieser Beziehung gewusst hatte. Fest stand offenbar nur, dass Leonard Kampmann seine Geliebte erschossen hatte. Danach hatte er sich auf die gleiche Weise das Leben genommen. Den Berichten zufolge fand man die Leiche von Melanie Afra wie aufgebahrt im Schlafzimmer auf dem Bett vor. Kampmann hockte zusammengesunken auf dem Fußboden. Die Tatwaffe, eine kleine Pistole, lag direkt neben seiner halb geöffneten Hand.
Johannes Kramer hat recht, dachte Sophie. Für die Presse ist diese Geschichte tatsächlich ein gefundenes Fressen gewesen. Die Journalisten hatten sich auf den prominenten Witwer gestürzt wie eine Meute gieriger Hyänen auf eine fluchtunfähige und bereits blutende Beute. Es wurden die schlimmsten Vermutungen angestellt, und sein gesamtes Privatleben wurde in die Öffentlichkeit gezerrt. Man erlaubte ihm keine ruhige Minute mehr und ließ ihn sogar am Tag der Beerdigung nicht in Ruhe Abschied nehmen. Die letzten privaten Fotos, die existierten, zeigten somit einen sichtbar gebrochenen Constantin Afra am Grab seiner Frau.
Direkt nach der Beisetzung verschwand der Sänger von der Bildfläche und blieb fast ein ganzes Jahr lang wie vom Erdboden verschluckt.
Dann kam er plötzlich zurück – doch die Öffentlichkeit erfuhr nur, dass er sich vollkommen allein irgendwo in der Wildnis von Kanada aufgehalten hatte, um in Ruhe trauern zu können. Außerdem wurde bekannt, dass der einflussreiche Thomas Jenkins ihn inzwischen unter seine Fittiche genommen hatte.
Kurze Zeit später brachten Afra und seine alte Band bereits ein neues Album heraus. Erwartungsgemäß wurde es ein grandioser Erfolg. Allerdings lehnte der Sänger von nun an jede Anfrage nach einem Interview konsequent ab und begründete dies nur ein einziges Mal mit seiner tiefen Abneigung gegen jedeArt von Reportern. Den Privatmann Constantin Afra schien es nicht mehr zu geben. Sein Anwesen vor den Toren Hamburgs wurde verkauft. Niemand wusste genau, wo Afra nun seinen Hauptwohnsitz hatte. Es kursierten die wildesten Gerüchte. Manche meinten, er wohne in einer luxuriösen Penthousewohnung hoch über der Stadt, andere waren davon überzeugt,
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