Soul Screamers 1 - Mit ganzer Seele
Nicht, solange die Gefahr bestand, dass ich wegrannte.
Als mir bewusst wurde, dass ich mir das Handgelenk rieb, ballte ich die Hände zu Fäusten und presste die Fingernägel tief in die Handflächen. Ganz am Rande bekam ich mit, dass die Gespräche im Restaurant verstummt waren.
„Kaylee, setz dich bitte wieder hin. So habe ich es nicht gemeint.“ Seine Stimme klang sanft. Tröstend.
Ich lockerte die Hände und atmete tief ein.
„Bitte“, sagte er erneut. Und obwohl es mich große Selbstbeherrschung kostete, setzte ich mich wieder auf meinen Platz und legte die Hände in den Schoß.
Wir warteten schweigend, bis die anderen Gäste sich wieder unterhielten. Ich starrte auf die Tischplatte, Nash auf mich, das spürte ich.
„Geht’s?“, fragte er nach einer langen Pause. Nach und nach fiel die Anspannung von mir ab, und ich lehnte mich erschöpft zurück.
„Ich brauche keinen Arzt“, erwiderte ich trotzig und wappnete mich im Stillen gegen seinen Einwand. Der jedoch ausblieb.
Stattdessen seufzte er widerstrebend. „Ich weiß. Aber du musst es deiner Tante und deinem Onkel erzählen.“
„Nash …“
„Sie können dir vielleicht helfen, Kaylee. Du musst es jemandem erzählen …“
„Sie wissen es doch schon!“ Ohne dass ich mir dessen bewusst war, hatte ich angefangen, die Serviette zu zerreißen. Ich schob sie beiseite und begegnete Nashs Blick, plötzlich wild entschlossen, ihm die volle Wahrheit zu erzählen. Viel schlechter konnte sein Eindruck von mir ja nicht mehr werden.
„Beim letzten Mal bin ich total ausgeflippt und habe angefangen zu schreien. Ich konnte nicht mehr aufhören. Sie haben mich ins Krankenhaus gebracht, ich bin am Bett festgebunden und mit Medikamenten vollge pumpt worden. Und ich bin erst entlassen worden, als wir uns alle einig waren, dass meine ‚Hysterie und Wahnvorstellungen‘ überwunden waren und ich nicht mehr darüber reden würde. Verstehst du? Es wird nicht viel bringen,es ihnen zu erzählen. Es sei denn, ich will die Herbstferien in der Psychiatrie verbringen!“
Nash blinzelte irritiert. Sein Gesichtsausdruck wechselte im Bruchteil einer Sekunde von Ungläubigkeit über Abscheu zu Wut, bis schließlich Zorn in seinem Blick lag. Er sah aus, als wollte er jemanden schlagen.
Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass das nichts mit mir zu tun hatte. Dass er nicht wütend auf mich war und es ihm nicht peinlich war, mit der Schulpsychopathin im Restaurant gesehen zu werden. Okay, das wusste ja auch sonst niemand. Niemand außer Sophie, deren Eltern ihr mit völliger sozialer Isolation – nämlich Hausarrest – gedroht hatten, sollte sie das Familiengeheimnis je ausplaudern.
„Wie lange bist du da gewesen?“, fragte Nash. Sein Blick war so durchdringend, dass ich überlegte, ob er durch meine Augen hindurch und direkt in mein Hirn sehen konnte.
Ich seufzte und begann, das Etikett von Sirupflasche zu kratzen. „Nach einer Woche habe ich ihnen alles gesagt, was sie hören wollten. Mein Onkel hat mich entgegen der ärztlichen Anweisung mit nach Hause genommen. Den Lehrern haben sie erzählt, ich hätte die Grippe gehabt.“ Damals war ich noch in die zehnte Klasse gegangen und hatte Nash nicht gekannt. Emma hatte erst ein Jahr später angefangen, sich mit den Jungs aus seinem Team zu verabreden.
Nash schloss die Augen und atmete ein paar Mal tief ein und aus. „Das hätte nie passieren dürfen.“ Er öffnete die Augen. „Du bist nicht verrückt. Nach allem, was letzte Nacht passiert ist, ist das doch sonnenklar!“
Ich nickte benommen. Wenn ich mich in ihm täuschte, konnte ich bald nur noch geduckt durch die Schulflure gehen. Aber jetzt hatte ich nicht einmal genügend Energie, um mir darüber Gedanken zu machen. Ich hatte Nash meine größten Geheimnisse anvertraut, ihm mein Herz geöffnet und mich den Schrecken meiner drogenvernebelten Erinnerungen gestellt.
„Du musst noch mal mit ihnen reden und …“
„Nein.“
Nash überging meinen Einwand. „… wenn sie dir nicht glauben, rufst du deinen Vater an.“
„Auf keinen Fall.“
Bevor er etwas erwidern konnte, schob sich ein blasser Arm zwischen uns. Die Kellnerin stellte zwei Teller mit Pfannkuchen vor uns auf den Tisch. Ich sah an Nashs erschrockenem Blick, dass er sie genauso wenig hatte kommen hören wie ich.
„Na, dann lasst es euch mal schmecken“, zwitscherte sie. „Und meldet euch, wenn ihr noch was braucht, ja?“
Wir nickten, und die Kellnerin verschwand. Mir gelang es
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