Soul Screamers 1 - Mit ganzer Seele
weit weg von allen Sorgen –, vibrierte mein Handy.
Es war eine SMS von Nash: Alles in Ordnung?
Alles klar , schrieb ich zurück. Eine glatte Lüge. Und bei dir? Am liebsten hätte ich ihm gesagt, dass er recht gehabt hatte. Ich hätte es meiner Tante nicht erzählen sollen. Doch für so viel Text reichte eine SMS nicht aus.
Auch. Bin bei Carter , antwortete er. Melde mich bald .
Ich überlegte kurz, ob ich Emma eine SMS schicken sollte, aber sie hatte ja immer noch Hausarrest. Und so wie ich ihre Mutter kannte, dachte sie nicht im Traum daran, das Strafmaß herabzusetzen, ganz egal ob Emma den Tod einer Klassenkameradin mit angesehen hatte.
Deprimiert und völlig erschöpft, schlief ich schließlich mitten in einem Film ein und wachte erst eine knappe Stunde später auf. Der Fernseher lief noch, ich stand auf und schaltete ihn aus. Im selben Moment wurde mir klar, dass ich beinah etwas Wichtiges verschlafen hätte.
Oder zumindest etwas Interessantes.
In der plötzlichen Stille hörte ich meine Tante und meinenOnkel miteinander streiten. Sie sprachen so leise, dass ich nichts verstand, deshalb öffnete ich vorsichtig die Zimmertür und spähte in den leeren Flur.
Sie waren in der Küche. Ich sah ihre Schatten an der Wand. Meine Tante lief aufgeregt hin und her, und mitten in der Diskussion hörte ich sie meinen Namen flüstern – extra leise, damit ich nichts mitbekam. Ich schluckte schwer. Bestimmt wollte sie Onkel Brendon dazu überreden, mich wieder ins Krankenhaus einzuweisen.
Das würde ich auf keinen Fall zulassen.
Wütend stieß ich die Tür ein Stück weiter auf und schlüpfte hinaus in den Flur. Wenn mein Onkel Vals Forderung nachgab, würde ich ihm mutig entgegentreten und ihm klarmachen, dass ich auf keinen Fall mitkam. Oder ins Auto springen und abhauen, bis sie es sich anders überlegt hatten. Ich könnte zu Emma fahren. Nein, sie hatte ja Hausarrest. Dann zu Nash!
Jeder Ort war besser als die Psychiatrie.
Meter für Meter schlich ich mich auf den dicken Socken nahezu geräuschlos vorwärts. Kurz vor der Küchentür hörte ich meinen Onkel deutlich und blieb wie angewurzelt stehen.
„Du übertreibst, Valerie!“, zischte er. „Letztes Mal hat sie es auch durchgestanden, also schafft sie es diesmal wieder. Ich finde nicht, dass wir ihn deshalb der Arbeit stören sollten.“
Es tat gut zu hören, dass mein Onkel auf meiner Seite war, auch wenn er nicht an meine Vorahnungen glaubte. Dass sich Dr. Nelson vom Anruf eines Patienten gestört fühlen sollte, konnte ich mir allerdings kaum vorstellen. Ganz abgesehen davon, dass er doch dafür bezahlt wurde, sich um Patienten zu kümmern.
„Was sollen wir sonst machen?“ Tante Val seufzte, und ich hörte einen Stuhl über den Boden scharren. Der Schatten meines Onkels bewegte sich. „Kaylee ist völlig aufgewühlt, und ich habe es nur noch schlimmer gemacht. Sie weiß, dass etwas nicht stimmt. Ich wollte, dass sie ein Beruhigungsmittel nimmt, aber sie hat die Flasche an die Kühlschranktür geworfen!“
Onkel Brendon lachte leise. „Sie weiß genau, dass sie dieseverdammten Tabletten nicht braucht.“
Ja, genau! Der plötzliche Stimmungsumschwung meines Onkels überraschte mich. Es klang fast so, als hätte er seine Zweifel überwunden.
„Natürlich nicht“, erwiderte Tante Val. „Die Tabletten sind ja nur eine vorübergehende Lösung. Man behebt einen Riss im Staudamm auch nicht, indem man den Finger vor den Riss hält. Was sie wirklich braucht, ist dein Bruder, und wenn du ihn nicht anrufst, mach ich es eben!“
Dad? Tante Val wollte, dass Brendon meinen Dad anrief und nicht Dr. Nelson?
Mein Onkel seufzte. „Ich habe keine Lust, jetzt alles aufzuwühlen, wenn wir es noch etwas hinauszögern können.“ Ich hörte am Quietschen, dass jemand die Kühlschranktür geöffnet hatte, und kurz danach das charakteristische Knacken einer Coladose, wenn sie geöffnet wurde. „Es ist purer Zufall, dass es zweimal in einer Woche passiert ist. Vielleicht haben wir jetzt ein ganzes Jahr lang Ruhe. Oder noch länger!“
Tante Val schnaubte verächtlich. „Brendon, du hast sie weder gesehen noch mit ihr geredet. Sie hat Angst, dass sie verrückt wird! Ihre Zeit ist sowieso schon geliehen, und ich möchte nicht, dass sie den Rest davon in dem Glauben verbringt, sie wäre verrückt!“
Geliehene Zeit?
Ich bekam einen solchen Schrecken, dass mein Herz für einen Moment still zu stehen schien. Was hatte das zu bedeuten? War ich krank? Musste ich
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