Soul Screamers: Sophie (German Edition)
den zweiten Handschuh über die linke Hand zog.
Luca drückte die Klinke herunter und öffnete die Tür. Das Lehrerzimmer sah fast genauso aus, wie ich es in Erinnerung hatte. Außer dass es weder Tische noch Stühle gab, und auch die beiden verrußten alten Mikrowellen waren weg, genauso wie der Großteil der Schranktüren.
„Warum ist der Raum hier leer?“, fragte ich, während Luca die Ranken anhob, damit ich unter ihnen hindurch ins Lehrerzimmer kriechen konnte.
„Weil es weniger Lehrer als Schüler gibt, was bedeutet, dass das hier einer der am wenigsten bevölkerten Räume im Gebäude ist. Die Gegenstände aus unserer Welt sickern zwar überall auf diese Ebene durch, aber je stärker ihre Nutzung durch die Menschen ist – und damit die Versorgung mit menschlicher Energie –, desto detaillierter färbt sie ab. Was in unserer Welt ein Sträßchen irgendwo auf dem Land ist, zeigt sich hier womöglich nur als Kies- oder Staubweg. Eine viel befahrene Interstate dagegen sieht genauso aus wie in unserer Welt, bis hin zu den gestrichelten Linien und den Verkehrsschildern.“
Ich wollte lieber nicht wissen, was das über den Hausratsraum aussagte.
„Es ist ein Beliebtheitswettbewerb“, sagte ich und sah dorthin, wo die Regale und der Verkaufsautomat hätten stehen sollen. Selbst das Wandtelefon fehlte, obwohl es den Anschluss in der Wand gab, direkt neben der Tür. „Genauso wie die Schule.“
„Hm?“ Luca duckte sich unter den Ranken ins Lehrerzimmer durch, dann ging er direkt weiter zum Ausgang. Den Moppstiel hielt er jetzt wie einen Baseballschläger vor sich.
„Ach, du weißt schon, der Beliebteste gewinnt. Wie bei der Kandidatur um den Titel der Schneekönigin. Nur dass der beliebte Highway hier eben Farbe und Straßenzeichen bekommt. Und die beliebten Räume bekommen Tische und Stühle. Als wäre diese Hölle auf mich maßgeschneidert.“
„Wieso?“ Luca drückte die Tür zum Ausgang auf, aber sie bewegte sich bloß ein paar Zentimeter weit, dann verhakte sie sich in den Ranken, die sie von außen überwuchert hatten.
Ich hielt ihm mit meiner behandschuhten Linken die Tür auf, damit er durch den Spalt mit dem Moppstiel die Ranken bearbeiten konnte. „Mir war schon immer klar, dass Beliebtheit auf der Highschool eine Überlebensstrategie ist, aber hier geht es tatsächlich um Leben und Tod.“ Und als ich das begriff, fühlte ich mich plötzlich ein bisschen besser. Als hätte ich etwas mehr Kontrolle über die Situation gewonnen. Ja, dieser Ort war immer noch schrecklich, aber auf eine verdrehte Weise ergab er jetzt auch Sinn.
Genauso wie in meiner eigenen Welt bedeutete Beliebtheit hier Macht. Manchmal erforderte das eigene Überleben, dass man einen verletzten Ast opferte – oder eine beschädigte Cousine –, und Bündnisse waren von zentraler Bedeutung. Zu Hause brauchten Laura und ich einander, um Peytons Tyrannei in Schach zu halten, eine Herrschaftsform, die ich in ihrem Verhalten ganz klar wiedererkannt hatte, als wir in Geschichte Alexander den Großen durchgenommen hatten. Hier brauchten Luca und ich einander, um uns einen Weg durch die fleischfressende Landschaft zu hacken und raubtierartigen Häschen aus dem Weg zu gehen.
Es war nicht das Spiel, das sich verändert hatte, es war nur die Arena. Und zu unser beider Glück war ich – wie ich allein schon durch meinen gesellschaftlichen Triumph bewiesen hatte, der mir allen Widrigkeiten zum Trotz gelungen war – verdammt gut in diesem Spiel.
„Kann sein.“ Luca durchtrennte die erste Ranke, und die beiden Hälften fielen von der Tür herunter. „Aber ich bezweifle, dass dich die Wahl zur überlebensfähigsten Kandidatin vor einem zweiköpfigen Monster retten wird, das dich bei lebendigem Leib von beiden Seiten gleichzeitig auffressen will.“
„Du hast natürlich recht.“ Er schnitt eine weitere Ranke durch, und ich sprang aus der Flugbahn der gelblichen Flüssigkeit, ohne die Tür loszulassen. „Außer man betrachtet die Carter-Schwestern aus der Zwölften als zweiköpfiges Monster. Was ich tue, da ich fast bei lebendigem Leib von ihnen gefressen worden wäre.“
Luca lachte und sah mich über die Schulter an.
„Im Ernst, die sind gruselig, selbst wenn sie gerade mal nicht die Klappe aufreißen. Und für ihre Haare würde sich sogar Medusa schämen.“
„Okay, ich glaube, das war die Letzte.“ Er streckte den Arm nach oben, um die einzige noch sichtbare Ranke zu durchtrennen, und mit einem weiteren Spritzer
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