Souvenirs
aufzulösen. Ich wollte mich auf den Weg zu ihr zu machen, sie wiedersehen, um endlich eine Erklärung zu bekommen. Gérard versuchte, mich von diesem Vorhaben abzubringen:
«Das hätte sie dir schon gesagt, wenn sie nichts mehr von dir hätte wissen wollen.»
«Glaubst du?»
«Ich hab sie ja kennengelernt, ich würde nicht sagen, dass ich sie gut kennengelernt hab, aber in einem bin ich mir sicher: Das ist eine vornehme Lady. Würde sie dich nicht lieben, würde sie dich nicht so im Regen stehen lassen.»
Ich sagte mir, er hatte bestimmt recht. Davon war ich sogar überzeugt. Wenn es vorbei gewesen wäre, hätte sie gesagt, es ist vorbei. Mir fiel wieder ein, was sie ganz zuletzt gesagt hatte: «Du bist ja verrückt.» Ich fragte mich, ob sie damit eine liebenswerte oder eine eher alarmierende Verrücktheit gemeint hatte. Ich hatte sie wohl tatsächlich nicht mehr alle beisammen, als ich mich geweigert hatte, sie zu küssen, nur weil auf demselben Bahnsteig noch ein anderes Pärchen stand, das sich ebenfalls küsste. Hatte sie das gekränkt? Ich versank wieder in Kummer. Ihr Schweigen quälte mich.
Ich hörte nicht auf meinen Chef, sondern brach auf, um mich auf die Suche nach einer Erklärung zu begeben. Ich rauschte dahin, es regnete, man konnte leicht tödlich verunglücken. Ich schwankte zwischen Verzweiflung und Aufregung. Mir kam der Morgen wieder in den Sinn, an dem ich mich aufgemacht hatte, meine Großmutter zu suchen. Das war der gleiche Gemütszustand wie jetzt gewesen. Verbringt man sein Leben damit, die immergleichen Dinge wieder und wieder zu tun? Ich hielt an der gleichen Raststätte, an der ich schon beim ersten Mal gehalten hatte. Wieder betrachtete ich die verschiedenen Schokoriegel. Und konnte mich nicht entscheiden. Einen Augenblick lang glaubte ich, das Krächzen eines Papageis zu vernehmen. Ich drehte dem Mann an der Kasse den Kopf zu und bemerkte, dass ich nicht geglaubt hatte, das Krächzen eines Papageis zu vernehmen, sondern tatsächlich einen gehört hatte. Der Vogel thronte hinter ihm auf einer Stange in einem großen Käfig. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich bei dem Regal mit den Schokoriegeln ausharrte, sicherlich eine ganze Weile, denn schließlich gesellte sich der Mann von der Kasse zu mir:
«Ich rate Ihnen, nehmen Sie ein Twix.»
«Aha! Wieso?»
«Da haben Sie gleich zwei.»
Ich dachte: So müsste es immer sein im Leben. Bei jeder Entscheidung, die es zu treffen galt, sollte man jemanden zurate ziehen können, der bei dem Thema gut Bescheid weiß. Er hatte recht, Twix war eine gute Wahl. Als ich an der Kasse stand, durchzuckte mich ein intuitiver Gedanke:
Wenn dieser Mann sich schon so gut mit Schokoriegeln auskannte, vielleicht war er auch auf dem Gebiet der Frauen bewandert? Zwischen beiden bestanden schließlich viele Gemeinsamkeiten.
«Darf ich Ihnen eine Frage stellen?»
«Nur zu.»
«Es geht um meine Freundin. Also ich hab seit drei Tagen nichts mehr von ihr gehört. Ich weiß nicht, was mit ihr los ist. Es lief alles gut zwischen uns. Aber seitdem sie weggefahren ist, meldet sie sich nicht mehr.»
«Vielleicht ist ihr etwas zugestoßen …»
«Nein, ich weiß, sie ist wohlauf.»
«Gott sei Dank.»
«Und jetzt bin ich losgefahren, um sie zu treffen. Ich will, dass sie mir erklärt, was los ist.»
«Aha … klasse. Und?»
«Ich wollte hören, was Sie davon halten.»
«Was ich davon halte?»
«Genau … vielleicht können Sie mich beraten, so in der Art, wie Sie das mit dem Twix gemacht haben. Sie machen den Eindruck, als hätten Sie ein Gespür dafür, was man tun und was man lieber lassen sollte.»
«Sie wollen hören, was ich davon halte?»
«Ja.»
«Wollen Sie wirklich hören, was ich davon halte?»
«Ja.»
«Fahren Sie nach Hause. Drehen Sie um und fahren Sie nach Hause.»
«Wie? Was?»
«Das ist mein Rat. Das ist das Beste, was Sie tun können.»
«…»
«Sie sehen ziemlich unausgeschlafen aus, wirken ganz verstört. Außerdem sind Sie total verschwitzt. Wollen Sie ihr wirklich so gegenübertreten? Sie tauchen da im Morgengrauen auf, schnappen sie sich und verlangen eine Erklärung … Nein, seien Sie ein bisschen vernünftig. Wahrscheinlich wird sie Ihren Auftritt ganz schön dramatisch finden. Pardon, es tut mir leid, Ihnen das so sagen zu müssen, aber Sie wollten meine Meinung hören. Ich bin nur ehrlich zu Ihnen …»
«Na ja, aber …»
«Womöglich wird sie sogar sauer. Sie wird nämlich denken, dass Sie ihr Schweigen nicht
Weitere Kostenlose Bücher