Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Späte Sühne - Island-Krimi

Späte Sühne - Island-Krimi

Titel: Späte Sühne - Island-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
schlohweiße Haar war dicht und voll wie bei einem jungen Mann. Es hing bis in die Stirn und war gerade abgeschnitten, an den Seiten reichte es bis unter die Ohren. Das Gesicht mit der kleinen Nase, den großen Augen, dem zierlichen Kinn, dem schmalen Mund mit den blutleeren Lippen, die kaum zu sehen waren, wirkte seltsam kindlich und gleichzeitig mitgenommen und erschöpft. Es war mit dem Körper gealtert, aber nie erwachsen geworden. Wie ein Wesen aus einer anderen Welt, dachte Birkir.
    »Vielen Dank, dass du dich bereit erklärt hast, mich zu empfangen. Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen«, sagte er.
    »Nein, im Augenblick geht es mir so einigermaßen«, entgegnete Fabían.
    Birkir war mit seinen 1,68 m nicht sonderlich groß, doch Fabían war wesentlich kleiner. Sein Körper wirkte schmächtig und winzig in dem viel zu weiten Schlafanzug.
    Fabían nahm einen dicken Bademantel vom Haken und zog ihn an. Anschließend schaltete er die Musik ab.
    »Mir ist immer kalt«, sagte er und bedeutete Birkir, Platz zu nehmen, während er sich auf den anderen Stuhl setzte. »Die Reise nach Berlin war einfach zu viel für mich. Ich bin seit meiner Rückkehr bettlägerig.« Die Stimme klang leise und sanft.
    Birkir hob das Diktafon hoch, bedeutete Fabían, dass es eingeschaltet war, und begann mit den Formalitäten: »Birkir Li Hinriksson spricht am Freitag, den 16. Oktober mit Fabían Sigríðarson. Bist du damit einverstanden, dass ich unser Gespräch aufzeichne?«
    Fabían nickte desinteressiert. Birkir sprach auf das Band: »Fabían Sigríðarson stimmt mit einer Kopfbewegung zu.«
    Einen Augenblick herrschte Schweigen, als Birkir das Gerät auf den Tisch legte. Dann fuhr er fort: »Wir reden hier miteinander, um uns über die Ereignisse in der isländischen Botschaft in Berlin am Sonntag, den 11. Oktober und in der Nacht zum Montag, den 12. Oktober zu unterhalten. Du warst dort anwesend, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte Fabían und nickte wieder.
    »Dir ist klar, weshalb ich dich nach diesem Abend frage, nicht wahr?«
    »Ja, wir haben in den Nachrichten gehört, dass einer der Gäste tot aufgefunden wurde. Man konnte sich leicht denken, um wen es sich handelte.«
    »Wie kam es dazu, dass du dort anwesend warst?«
    »Mein Freund, der Sonnendichter, hatte mich eingeladen, ihn auf seiner Lesereise in Deutschland zu begleiten.«
    »Wann seid ihr nach Berlin gefahren?«
    »Am Freitag, dem 9. Oktober. Wir wollten eigentlich eine gute Woche bleiben.«
    »Weshalb hat sich der Plan geändert?«
    Fabían streckte seine Hand nach der Wasserflasche aus und trank einen Schluck. Er würgte, aber es gelang ihm den Mageninhalt unten zu behalten.
    »Kann ich dir helfen?«, fragte Birkir.
    Fabían schüttelte den Kopf. »Ich bin schwer krank, deshalb musste der Plan geändert werden. Mein Zustand verschlechterte sich, und nach zwei Tagen in Berlin war es einfach zu viel für mich. Es ist schon für gesunde Leute schwierig genug, mit meinem Freund Jón Schritt zu halten, und erst recht für einen Kranken wie mich. Der Flug konnte umgebucht werden, und ich bin am vergangenen Montag von Berlin aus zurückgeflogen.«
    »Warst du denn imstande, ganz allein zu reisen?«
    »Nein, das war ich nicht. Helgi Kárason flog mit mir. Er hat auch alles für mich erledigt, den Flug gebucht und uns eingecheckt. Und er hat mich auf den Flughäfen im Rollstuhl gefahren. Ich bin nie so kräftig gewesen, dass ich viel reisen konnte, und ich brauche jemanden, der mich begleitet. Zudem beherrsche ich keine Fremdsprachen, bin also im Ausland völlig hilflos. Helgi hat mir sehr geholfen.«
    »Du warst Gast in der Botschaft, als dort ein Mann ums Leben kam. Kannst du mir schildern, was sich in diesen letzten Stunden in der Botschaft abgespielt hat?«
    »Das, was sich normalerweise bei Besäufnissen abspielt, wenn sie ihrem Ende zugehen. Das innere Gleichgewicht und die Verfassung bei den Leuten waren unterschiedlich.«
    »Inwiefern?«
    »Der Botschafter und seine Frau haben sich unnötig heftig gestritten, und Unnar und Starkaður wurden reichlich theatralisch.«
    Fabían hustete und trank noch einen Schluck Wasser, bevor er fortfuhr: »Ich hatte auch so langsam genug von meinem Freund, dem Sonnendichter, und fühlte mich elend. Lúðvík war auf der Toilette eingeschlafen, und Helgi tat sein Bestes, damit sich alles im Rahmen hielt. Er war ja auch völlig nüchtern.«
    »Und Anton?«
    »Er war die meiste Zeit oben im Büro des Botschafters, um zu telefonieren, oder er

Weitere Kostenlose Bücher