Spaghetti in flagranti
Abholdelegation um ganze drei Personen verkleinert. Zia Marisa war die erneute Fahrt zu anstrengend, mamma wollte kochen und nonna verzichtete freiwillig, weil sonst in unserem kleinen Fiat kein Platz für Otto gewesen wäre.
Als Ottos durchtrainierte Gestalt endlich hinter der Glastür auftauchte, rief ich: »Da ist er!«, und fing an zu winken.
Er hob lässig die Hand und kam auf uns zu. Nur noch zwanzig Meter, neunzehn, achtzehn …
»Ach, der ist ja gar nicht blond«, hörte ich Paola sagen. Es klang enttäuscht.
»Na und, der ist voll süüüüß«, wandte Laura ein.
»Stimmt, total süß. Vielleicht interessiert er sich ja für mich«, revidierte Paola ihre Meinung.
»Wenn, dann eher für mich.«
Mir wurde es echt zu bunt. »Sorry, ihr Kröten, aber ich würde mal sagen, er interessiert sich hauptsächlich für mich. Seht euch lieber mal in eurer Altersklasse um, im Kindergarten zum Beispiel.« Damit schob ich sie zur Seite und machte einen Schritt auf Otto zu.
»Grüß dich, Angela«, sagte er, ganz der Bayer, und küsste mich auf beide Wangen.
Als seine Arme mich umfingen, war es mir auf einmal völlig egal, dass mein Vater und die Zwillinge neben mir standen. Wir hielten uns ganz fest, und ich war froh, dass ich den Kopf in seiner grellgrünen Outdoorjacke vergraben konnte, damit niemand merkte, wie verlegen ich war. Otto fühlte sich unglaublich gut an, und er roch himmlisch. Der Moment war schöner, als ich ihn mir in meinen Träumen ausgemalt hatte. Nur leider war er viel zu kurz.
Babbo räusperte sich vernehmlich hinter mir, und wir fuhren erschrocken auseinander. Nun war auch Otto sichtlich befangen.
Paola rettete die Situation, indem sie ihn kurzerhand – für meinen Geschmack zu stürmisch, aber egal – umarmte und ebenfalls auf beide Wangen küsste. Natürlich tat Laura es ihr gleich und sagte wie zur Entschuldigung: »So macht man das hier bei uns in Italien.«
Leider verstand Otto da irgendwas falsch, denn zu meinem Entsetzen ergriff er nun die Hand, die mein Vater ihm entgegenstreckte, zog ihn an sich und küsste ihn ebenfalls auf beide Wangen. » Buon giorno «, sagte er, »ich freue mich sehr, Sie endlich kennenzulernen, Signor Troni.«
Babbos Miene sprach Bände, und das lag nicht etwa daran, dass Otto ihm aus Versehen einen guten Tag statt eines guten Abends gewünscht hatte. Er entwand sich Ottos Griff, wischte sich über den Mantel, als wäre das gute Teil beschmutzt, und sagte anstelle einer Begrüßung: »Ich dachte immer, alle Bayern seien blond.«
Es fehlte nur, dass er ihn fragte, wo er denn seine Lederhose gelassen habe. Mein Vater war offensichtlich von der Situation überfordert, daher beschloss ich, mir vorerst keine Sorgen um seinen Geisteszustand und diese reichlich unqualifizierte Bemerkung zu machen. Zum einen war er sonst nicht so, zum anderen war ich seine Tochter, und am Ende lag mir diese geistige Umnachtung in den Genen …
Während der Fahrt, die ich auf der Rückbank zwischen meinen nervigen Schwestern verbrachte, die die ganze Zeit hysterisch kicherten, verlor mein Vater kein Wort. Ich fragte Otto über die Notlandung in Verona aus und versuchte krampfhaft, ein lockeres Gespräch in Gang zu halten, was per se nicht gelingen konnte und die Situation nur noch beklemmender machte. Daher war ich heilfroh, als wir endlich bei uns zu Hause ankamen und aus dem Aufzug stiegen, wo mamma uns schon freudestrahlend erwartete.
In ihrer herzlichen Art fiel sie Otto um den Hals, küsste ihn ab und bereitete ihm einen echt italienischen Empfang, inklusive Küchenschürze, die sie sich eilig abstreifte und meinem Vater in die Hand drückte. Spätestens als Otto meiner nonna nach der Begrüßung eine kleine Tüte mit Champagnertrüffeln überreichte, war das Eis gebrochen. Er hatte sich tatsächlich gemerkt, dass sie die Pralinen, die ich ihr regelmäßig aus München geschickt hatte, so gerne mochte.
Der Abend war gerettet, und die Begeisterung im Hause Troni für den bayerischen Gast war riesig, zumindest die der weiblichen Familienmitglieder, und die waren eindeutig in der Mehrzahl. Babbo beschränkte sich auf die Rolle des kritischen Beobachters. Ich hatte ihn selten so wortkarg erlebt und ertappte ihn immer wieder dabei, wie er Otto von der Seite musterte, als müsse er auf einem Suchbild den letzten Fehler finden.
Auch wenn ich an diesem Abend nicht viel von Otto hatte, war ich selig, als ich schließlich erschöpft im Bett lag. Meine Schwestern hatten es
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