Spaghetti in flagranti
Olivenöl, vermischt mit einem Schuss Zitronensaft.
»Sag Laura, dass sie mitdarf, aber gib ihr die Karte nicht. Dann wird sie erst mal schön stillhalten«, instruierte Vale mich weiter.
»Wenn du meinst«, erwiderte ich wenig überzeugt, drehte mich auf den Bauch und öffnete das Band meines Bikinioberteils. Ich nahm mir jedoch vor, mich gleich am Abend darum zu kümmern. Sicher war sicher. Dann döste ich weg.
Der Frühling war nahtlos in den Sommer übergegangen, und die erste Hitzewelle des Jahres hatte ganz Italien erfasst. Dabei fing die Saison offiziell erst in eineinhalb Wochen an, wir hatten gerade mal Anfang Mai. Dank des Traumwetters war es an den Wochenenden brechend voll, und wir hatten mit viel Glück noch zwei Plätze an der spiaggia libera ergattert, dem freien Strandabschnitt, an dem keiner von der Bademeister-Mafia die Landschaft mit seinen endlos langen Reihen an Schirmen und Sonnensegeln verschandelte. Die ohnehin schon horrenden Preise für die Schattenplätze stiegen von Jahr zu Jahr, und auch wenn einige der Bademeister uns Einheimischen Rabatt gewährten, war es dennoch ein teures Vergnügen, sein Haupt auf eine dieser Aluliegen zu betten. Mal ganz davon abgesehen, dass die Dinger in puncto Bequemlichkeit mit jeder Gefängnispritsche konkurrieren konnten.
Fast die komplette Küste der Emilia Romagna und der Marken von Cervia bis runter nach Pescara war im Sommer bis auf den letzten Meter verbaut und sah von oben aus, als hätte ein Kleinkind sich mit einem zu groß geratenen Lego-Baukasten vergnügt. Dazwischen wuselten spärlich bekleidete Menschen aller Konfektionsgrößen wie die Ameisen umher, und das Meer sah in Strandnähe aus wie eine üppig belegte Pizza: zu voll. An manchen Tagen im Hochsommer waren so viele Leute gleichzeitig im Wasser, dass ich mich fragte, wie die Rettungsschwimmer, die mit ihren roten Ruderbooten auf den Wellen schaukelten und die Badegäste im Blick behielten, ihrer Aufgabe Herr wurden.
Wenn es besonders hoch herging, waren die salvataggi im Dauereinsatz auf dem Wasser und saßen fast nie auf ihren Hochsitzen, von denen sie vor allem die vermeintlichen Profischwimmer, die sich besonders weit rauswagten, mit dem Fernglas beobachteten. Immer wieder kam es vor, hauptsächlich am frühen Nachmittag, dass Leute gleich nach dem Essen ins Wasser sprangen und Kreislaufprobleme bekamen. Dabei waren überall Warnhinweise angebracht, dass man mit vollem Magen nicht schwimmen gehen sollte. Aber die wurden ebenso ignoriert wie die roten Flaggen, welche die Bademeister bei hohem Wellengang, gefährlicher Strömung oder drohendem Unwetter hissten. Schon so mancher, der sich für einen Schwimmprofi gehalten hatte, lag hinterher japsend am Strand und musste einsehen, dass ihm der wahre Profi gerade das Leben gerettet hatte.
An der Uferpromenade schoben sich ganze Karawanen von Spaziergängern entlang, und zwischendrin boten die fliegenden Händler aus Afrika ihre gefälschten Prada-Handtaschen, Rolex-Uhren und Gucci-Sonnenbrillen auf großen, bunten Tüchern feil. Das sah nicht nur schön aus, sondern hatte obendrein den Vorteil, dass sie ihre Ware binnen Sekunden zusammenpacken und losrennen konnten, sobald die Strandpolizei am Horizont auftauchte. Die »Vu cumpra«, wie wir sie nannten, weil sie die Frage » Vuoi comprare – möchtest du etwas kaufen?« nicht richtig aussprechen konnten, waren ein eingespieltes Team. Sie verfügten über ein ausgeklügeltes Frühwarnsystem und wurden so gut wie nie erwischt. Die meisten Leute blickten nicht mal mehr auf, wenn zwischendurch wieder ein greller Pfiff ertönte und die überwiegend afrikanischen Händler bei vierzig Grad im Schatten einen Massenstart hinlegten.
Ein mir wohlvertrauter Ruf holte mich aus meinen Gedanken zurück, und ich hob den Kopf.
»Paste, pizze, bomboloniiiiiiiiii« , kam es von rechts.
Kurz darauf entdeckte ich die alte Frau in dem weißen Kittel, die schon zu meinen Kindertagen barfuß durch den heißen Sand gestapft war, ein mit einem Tischtuch abgedecktes Holztablett an einem dick gepolsterten Lederband über der Schulter. So trug sie von morgens bis abends ihre Köstlichkeiten durch die sengende Hitze und bot sie lautstark an. Ich hatte mich immer schon gefragt, wo sie ihr geheimes Lager hatte, denn die Vorräte gingen ihr nie aus.
Die bomboloni -Frau hatte so viele Runzeln im braungebrannten Gesicht, dass man ihre Augen kaum sehen konnte, und unter ihrem hellen Stoffhut lugten ihre grauen
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