Spaghetti in flagranti
eines Vorwurfs in meine Stimme zu legen, schob ich nach: »Und wieso hast du mir nichts gesagt?«
Er grinste nach wie vor. »Du stehst doch auf Überraschungen«, erwiderte er. »Wie es aussieht, ist mir der Coup gelungen, was?«
Ich war noch immer völlig verdattert. »Woher weißt du, dass ich hier arbeite?«
Otto hatte sichtlich Spaß an dem Ratespiel. »Ich habe da so meine Informanten. Und jetzt lass uns losfahren. Wie ich deine mamma kenne, wartet sie sicher schon mit dem Essen.« Er setzte sich auf sein Fahrrad und deutete auf die Rahmenstange. »Bitte sehr, Signorina, Ihr Taxi steht bereit.«
»Du willst, dass ich mich da draufsetze? Mit meinem engen Rock?«
Er nickte nur, also fügte ich mich und versuchte so elegant wie möglich auf die Stange zu gleiten.
Unterwegs beantwortete er mir alle meine Fragen, bis auf die, wer ihm verraten hatte, dass ich in der Kochschule war. Sein Chef hatte ihn schon am Dreizehnten, also einen Tag früher als geplant, nach Italien fliegen lassen, damit er sich in dem kleinen Ferienapartment, das die Firma für ihn angemietet hatte, noch einrichten und in Ruhe ankommen konnte, ehe er dann am fünfzehnten Mai die Stelle in Sant’Arcangelo antrat.
»Ich habe absichtlich nichts gesagt, damit nicht wieder deine komplette Familie am Flughafen steht, um mich abzuholen«, gestand Otto freimütig, und ich hatte volles Verständnis dafür. »Mir reicht es, wenn sie gleich wieder alle beim Essen versammelt sind. Es gibt übrigens pasta fagioli , dein Leib…«
»Woher weißt du das?«, unterbrach ich ihn und wäre fast von der Stange gefallen, als ich mich zu ihm umdrehte.
»Na, von deiner nonna höchstpersönlich. Ich hab sie vorhin zufällig im Supermarkt getroffen«, erwiderte er keuchend.
Er kam ins Schwitzen, weil es in der Via Verdi ganz schön den Berg hinaufging und wir vor der Bahnunterführung an der Ampel hatten warten müssen.
»Nie im Leben!«, rief ich und machte mich extra schwer, damit er sich noch ein bisschen mehr anstrengen musste für diese infame Lüge. » Nonna war heute garantiert zu Hause, sie hat Schmerzen im Fuß und kann nicht richtig laufen.«
Darauf sagte er nichts mehr, aber sein Gesicht konnte ich ja leider nicht sehen.
Kurze Zeit später erfuhr ich des Rätsels Lösung, da meine Familie über Ottos Auftauchen nicht annähernd so verwundert war wie ich. Er war bereits bei uns zu Hause gewesen, wie ich unschwer an den Süßigkeiten erkennen konnte, die in der Küche auf der Anrichte lagen. Meine Schwestern wedelten mir überglücklich mit einer Großpackung Puffreis vor der Nase herum. Sie liebten die Waffeln und hatten schon ordentlich zugeschlagen.
Einzig babbo , der knapp fünf Minuten nach uns zur Tür hereinkam, schien über den unverhofften Gast nicht ganz so erfreut wie seine Frauen. Er begrüßte meinen Freund sehr reserviert, schaltete sofort den Fernseher ein und starrte wie ferngesteuert auf den Bildschirm.
Nonna hatte tatsächlich den leckeren Bohneneintopf gekocht, den Otto genauso gerne mochte wie der berühmte Federico Fellini und ich. Hinterher servierte sie pomodori und melanzane al gratè , mit einer Mischung aus Paniermehl, Olivenöl, Knoblauch und Petersilie gefüllte überbackene Tomaten und Auberginen. Otto machte die Köchin glücklich, indem er nicht unter zwei Portionen pro Gang vertilgte und auch zu den pasticcini , die es zum caffè gab, nicht nein sagte.
Mamma war extra in die Pasticceria gleich am Anfang der Via Dante gegangen, wo es das beste Gebäck in ganz Riccione gab. Ich mochte die Mürbeteigtaler mit dem frischen Obst darauf am liebsten und nahm mir einen, während Laura gleich alle Schokohörnchen auf ihrem Teller bunkerte, woraufhin Paola so lange protestierte, bis sie zumindest eins davon abbekam. Als Ottos Hand zielsicher über den Milchreispasteten kreiste, für die mein Vater glatt einen Mord begehen würde, trat ich ihm vorsichtig ans Schienbein und hob die Augenbrauen. Zum Glück kapierte er die Warnung sofort und nahm eines der mit Vanillecreme gefüllten Blätterteighörnchen, ehe babbo den Blick vom Fernseher abwendete.
Wir hatten uns viel zu erzählen, und oftmals redeten wir alle durcheinander, wie man es von echten Italienern erwartet. Das meinte jedenfalls Otto, als wir hinterher noch an den Strand gingen, um ein bisschen Sterne zu gucken. Wir setzten uns mit dem Rücken an eines der Ruderboote, deren Torsi nachts in einer langen Reihe ohne Ruder aneinandergekettet ein wenig hilflos dalagen
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