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Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau

Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau

Titel: Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan Anderson , Susanne Aeckerle
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zurückkommt.«
    »Wirklich?« erwidert sie mit monotoner Stimme. »Warum nicht? Ich lasse es mir hier draußen gut gehen, ohne auch nur an Erik zu denken. Außerdem würde er unseren kleinen Ausflug sicher billigen, wenn er davon wüßte.« Sie beugt sich über den Bootsrand, schöpft Wasser und bespritzt mich damit. Das kalte Wasser trifft mich voll im Gesicht, bringt mich zum Lachen und reißt mich aus meinen gefühlsseligen Gedanken. Ich |59| beuge mich hinüber und mache dasselbe. Für einen Moment sind wir zwei alberne Mädchen ohne die geringsten Sorgen – der kurze Augenblick der Ernsthaftigkeit ist fürs erste vergessen.
    »Wohin jetzt, Kapitän?« frage ich, als der Wind zunimmt und wir weit von der Mitte wegzutreiben beginnen.
    »Schauen wir mal, wohin uns die Elemente tragen. Das macht bestimmt Spaß. Es ist noch ein bißchen zu früh, ans Ufer zurückzukehren, meinst du nicht?«
    Ich lehne mich wieder zurück, schließe die Augen, mache meinen Kopf leer. Die warme Sonne trocknet meine nasse Strickjacke und das feuchte Gesicht. Eine Viertelstunde oder mehr müssen vergangen sein, als ich Joans brüchige Sopranstimme höre: »Row, row, row your boat, gently down the stream«, singt sie. Sie greift nach den Rudern und lenkt uns weg von einer Bucht. »Merrily, merrily, merrily, merrily, life is but a dream. Wir wären fast aufgelaufen«, ruft sie. »Übernimm du«, sagt sie, überlässt mir gern die Ruder, während sie ihren Körper geschickt in Richtung des Bugs herumschwingt, wobei sie die Augen zusammenkneift, um das gegenüberliegende Ufer zu erkennen. »Ich bin zu sehr außer mir. Doch ich fürchte, es ist Zeit zurückzukehren. Wir haben so ziemlich alles aus diesem Tag herausgeholt, findest du nicht auch?«
    »Du meinst, wir haben unseren Gedankenstrich ausgelebt«, witzele ich.
    »Für den Moment ja, nehme ich an.«
    Ich rudere langsam, denke auf dem ganzen Rückweg daran, wie es uns gelungen ist, unser Leben anzuhalten, indem wir uns einfach über einen abgelegenen Kesselteich haben treiben lassen.
    »Meine kleine Bucht zu verlassen, hat mich immer traurig gemacht«, sagt Joan, die wieder an ihre Kindheit denkt. »Meine Zeit dort war gestohlen und geheim. Manchmal mußte ich flunkern oder Fragen ausweichen, wenn ich heimkam, aber |60| das war mir egal. Die Bucht gehörte mir und würde immer für mich dort sein.«
    »Genau wie dieser See«, sage ich. »Danke für diesen Tag und dein Beharren darauf, daß wir unseren Sinnen eine Überdosis verpassen.«
    »Etwas Besseres gibt es wirklich nicht, stimmt’s, Liebes?«
    Ich lächele über ihre Entschlossenheit. Mir wird klar, daß ich aufhören muß, an der Oberfläche oder im Seichten zu leben, wenn ich die Möglichkeit habe, über mich selbst hinauszuwachsen.

|61| Ein Leben weben
    Nach meinem Gefühl ist mein allein verbrachtes Jahr allzu schnell vergangen, und ich bin immer noch voller Fragen über meine Zukunft. Als der Sommer seinen Lauf nimmt, wächst meine Unruhe wegen der unweigerlichen Rückkehr meines Mannes. Ich rufe Joan an, um meine Beklemmung zu überwinden.
    »Joanie«, sage ich etwas verzweifelt am Telefon, »ich hatte recht. Mein Mann zieht nach Cape Cod, irgendwann Ende September. Er will seine Arbeit hinter sich lassen und selbst ein Jahr am Meer verbringen. Ich sitze ganz schön in der Patsche, nicht wahr?«
    »Nicht unbedingt. Dein Junge ist einfach bereit, mit seinem Leben weiterzumachen. Das kannst du ihm nicht vorwerfen«, antwortet sie munterer, als ich gehofft hatte. Daß sie ihn »meinen Jungen« nennt, läßt mich stutzen; das klingt zärtlich und besitzergreifend.
    »Wovor fürchtest du dich, meine Liebe?« fragt sie.
    »Daß ich mich wieder in eine Ehefrau verwandele«, antworte ich, »oder zumindest in die Art Ehefrau, die ich war.«
    »Nein, wirst du nicht. Du hast zu viel von dem anderen gekostet. Du wirst sehen, das geht alles langsam. Du mußt dir Zeit und Raum lassen, aber ich bin sicher, er wird das genauso sehen.«
    »Da bin ich mir nicht sicher. Er spricht dauernd von ›wir‹. Es würde mich freuen, wenn er wirklich herkommen und herausfinden will, was in seinem eigenen Leben ungelebt ist, aber ich bin mir nicht so sicher, ob ich bereit bin, wieder in die ›Wir-Welt‹ |62| einzutauchen.« Ich halte inne und warte auf eine Antwort. Versteht sie meine mißliche Lage denn nicht? Vermutlich hat sie sich nie vor ihrem Mann verstecken wollen. »Ehrlich gesagt, ich bin mir nicht sicher, ob ich jemals wieder mit einem

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