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Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau

Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau

Titel: Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan Anderson , Susanne Aeckerle
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für den Augenblick fast aus. Sobald wir in ihrem kleinen Haus sind, sammeln wir alles zusammen, was sie braucht. Joan ist in solcher Eile, daß ich nur sehe, wie sie ihre Medikamente und ein oder zwei andere Sachen in einen Waschbeutel steckt, und schon sind wir bereit zurückzufahren.
    »Ich bin froh, daß Erik nicht in diesem Haus gelebt hat«, sagt sie in einem der seltenen Momente, wo sie über die Gegenwart hinausschaut. »Dadurch wird es nicht so schwer |101| sein, wieder hierher zu kommen.« Ich schließe sie fest in die Arme, bevor ich das Licht ausmache. Wir fahren schweigend zurück, langsam, weil ich nicht erpicht darauf bin, die Nachtwache wieder aufzunehmen. Aber eine Fahrt von drei Minuten läßt sich nicht groß verlängern. Im Nu sind wir wieder beim Pflegeheim.
    »Oh, Joanie«, sage ich, als ich ihr beim Auspacken zuschaue, »du hast dein Nachthemd vergessen.«
    »Nein, hab ich nicht«, erwidert sie mit einem anzüglichen Zwinkern. Sie greift nach ihrem ledernen Waschbeutel, macht den Reißverschluß auf und holt, mit der Geste eines Zauberers, der gleich einen Schal aus dem Hut ziehen wird, eine aquamarinblaues Nachthemd heraus. »Ich kann ebensogut das Beste draus machen«, sagt sie, schlüpft aus ihrem Jerseyrock und dem Oberteil und zieht das Nachthemd über den Kopf.
    »Wenn du mich brauchst, ich bin unten im Aufenthaltsraum«, sage ich, öffne die Tür und schließe sie leise hinter mir, lehne meinen Kopf daran. Sie wird diese letzte Nacht genau so verbringen, wie sie es will, und so sollte es auch sein. Die umhüllende Stille des Heims, die jeden Lärm geradezu verbietet, legt sich auf mich, und plötzlich läßt mich Einsamkeit frösteln, die ich für sie wie für mich verspüre. Dann, als hätte sie meine Sehnsucht intuitiv erfaßt, höre ich etwas, keine Worte, sondern Gesang... ihre heitere Sopranstimme, die eine nicht zu erkennende Melodie summt und dann Worte hinzufügt. »Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneiget. Herr, bleibe bei uns, wenn Trost und Hilfe fliehen, Helfer der Hilflosen, oh, bleibe bei uns.« Ich summe mit, während ich zum Aufenthaltsraum gehe, strecke mich auf der einzigen Couch aus und falle rasch in einen tiefen Schlaf.
     
    |102| Ich habe wohl nur eine Stunde oder so geschlafen, als ich von einer Schwester geweckt werde, die mich an der Schulter berührt. »Er ist gestorben, ja?« sage ich, setze mich auf und versuche, einen klaren Blick zu bekommen.
    »Ja«, antwortet sie mit leiser und ausdrucksloser Stimme.
    »Wie geht es Joan?« frage ich.
    »Ich will gerade zu ihr gehen und dachte, Sie wollen vielleicht mitkommen.« Mein Herz hämmert, während unsere Schritte unser Kommen ankündigen. Wir nähern uns der Tür und schauen in die Dunkelheit. Als sich meine Augen daran gewöhnt haben, sehe ich zwei Menschen, die einander umarmen. Langsam gehe ich zu ihr, beuge mich hinunter und flüstere: »Erik ist tot.«
    »Ich weiß, Liebes«, antwortet sie.
    »Ich bin draußen vor der Tür«, sage ich und habe den Eindruck, daß sie noch nicht bereit ist loszulassen. »Sag mir Bescheid, wenn du mich brauchst.«
    Da sie sich früher am Abend Kerzen gewünscht hat, laufe ich in die Küche, um welche zu suchen. In einem Schrank finde ich Votivkerzen und Streichhölzer neben dem Gasherd. Mit vollen Händen laufe ich zurück und fühle mich jetzt besser gewappnet, da ich für ein Ritual ausgerüstet bin. Im Schneidersitz setzte ich mich vor die Tür, um dort zu sein, wenn sie mich ruft.
    Ein paar Stunden später öffnet sie, wieder in ihrer bequemen Alltagskleidung, die Tür und winkt mich herein. Erik wirkt so, wie ich ihn zuletzt gesehen habe – in tiefem Schlaf. »Ich hab ein paar Kerzen gefunden, Joanie. Soll ich sie anzünden?«
    »Das wäre schön.« Während sich das dunkle Zimmer erhellt, setzen wir uns, jede in ihrer eigenen Welt, bis sie das Schweigen bricht. »Wie ich dir gesagt habe, Liebes, ich habe so etwas noch nie erlebt. Ich habe kein Vorbild, dem ich folgen kann.«
    »Vielleicht sollten wir uns auf Erik konzentrieren, an ihn |103| denken und von ihm sprechen. Du hast so viele seiner Lieblingsstücke in dieses Zimmer gebracht, und er hat so viele Rollen ausgelebt.«
    Ihre Augen blitzen, glänzen jetzt vor Tränen, die nicht aus Trauer fließen, sondern aus der Fülle der Erinnerungen.
    »Du weißt ja, daß sie im Beerdigungsinstitut nach Informationen über ihn fragen werden. Soll ich mir Notizen machen, während du

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