Spaziergang im Regen
dass sie mit Derek Schluss gemacht hatte, weil sie in jemand anderen verliebt war. Abgesehen von einem jungenhaften Grinsen und Achselzucken hatte er die Abfuhr gelassen hingenommen. Wenn überhaupt, dann führte es dazu, dass er Shara noch ernster nahm.
Er ging sogar so weit, ihr anzubieten, sie im Abspann als Assistentin des Regisseurs aufzuführen, falls sie das wollte. »Aber keine zusätzlichen Tantiemen!«
Sie lachten beide, und sie erwiderte, dass sie sich damit begnügen würde, eines Tages bei einem von ihm produzierten Film Regie zu führen.
»Einverstanden«, antwortete er und streckte ihr seine Hand entgegen, um die Abmachung zu besiegeln.
Shara schob es auf ihren Tunnelblick während der Dreharbeiten, dass sie erst sechs Monate später, nach Drehschluss, von dem einschlagenden Erfolg erfuhr, den Jessa mit ihrer neuesten Komposition hatte. Als sie in die Limousine stieg, die sie zur Feier anlässlich des Endes der Filmarbeiten fahren sollte, hörte sie Jessas Namen aus den Lautsprechern des Radios, dem der Fahrer zugehört hatte, während er darauf wartete, dass sie aus ihrem einstweiligen Zuhause in Beverly Hills kam.
»Können Sie das bitte lauter drehen?« fragte sie mit klopfendem Herzen.
»Aber sicher doch, Frau Quinn. Dachte mir nicht, dass Sie noch mehr über Jessa Hanson hören wollen, wo Sie sich doch in letzter Zeit so viel mit ihr beschäftigt haben.«
Du hast ja keine Vorstellung, wie sehr sie mich wirklich beschäftigt , dachte Shara und biss sich auf die Unterlippe, als der Schmerz sie überflutete. Ehe sie sich wieder sammeln konnte, drehte der Fahrer das Radio lauter und übertönte so dankbarerweise ihre Gedanken.
»Stimmt, Leute, sie hat’s wieder mal geschafft. Nicht nur, dass sie den Rekord für den höchsten Einstieg eines klassischen Stücks in die Popcharts hält – die Diskoversion von Beethovens Fünfter in 1976 zählen wir mal nicht. Nein, mittlerweile hält sie auch einen neuen Rekord: Ihr klassisches Stück hat gleich zwei MTV-Preise gewonnen, den für das beste Kurz-Video und auch noch den für die lange Version. Nicht schlecht für ein Mädchen mit ’nem Stäbchen! Also, wenn ihr die letzten Monate in einer Höhle verbracht habt und nicht wisst, wovon ich hier fasele, habt ihr jetzt die Gelegenheit, das Toronto Symphonieorchester unter der Leitung von Jessa Hanson zu hören, wie es ihre phänomenale Komposition Spaziergang im Regen spielt. Gleich nach dieser Werbeunterbrechung.«
Sharas Welt drehte sich. Wieso hatte das während der Dreharbeiten niemand erwähnt? Und auch nicht Elise, Susan oder eine ihrer anderen Freundinnen?
Die letzte Frage war einfach zu beantworten: weil sie alle vermieden hatten, Jessa zu erwähnen. Shara hatte Elise von ihren Gefühlen für Jessa erzählt und sie gleichzeitig gebeten, den anderen in ihrem Freundeskreis zu sagen, dass sie sie damit in Ruhe lassen sollten, während die Wunden noch so frisch waren. Sie hatte im Scherz versprochen, ihr über ein paar Gläsern Wodka alles zu erzählen, sobald ›es‹ überstanden war, aber tief in ihrem Herzen war sie nicht sehr überzeugt gewesen, dass sie es jemals überstanden haben würde. Nach ihrer Beichte hatte sie mit den Tränen gekämpft, und Elise hatte sie lange in den Armen gehalten und ihr versprochen, ihre Wünsche zu respektieren. Zum Glück hatte sie dank Derek und seines drängelnden Verhaltens viel Gesprächsstoff und so nicht das Gefühl, ihre Freunde vollends ausgeschlossen zu haben.
Während Shara darüber nachdachte, endete die Werbepause und die ›phänomenale‹ Komposition begann. Als die letzten Töne verklangen, war Shara in hilfloses Schluchzen ausgebrochen und ihr war klar, dass sie nicht zur Feier gehen würde.
Kapitel 23
N och nie in ihrem Leben hatte Jessa so wenig Lust gehabt, Weihnachten zu feiern. Weniger noch als an ihrem sechzehnten Weihnachten. Es war das erste ohne ihre Familie gewesen, obwohl sie da bereits mit dem Mädchen Schluss gemacht hatte, das die Entfremdung zu ihnen ausgelöst hatte. Damals hatte sie eine Familie verloren, aber sie hatte eine andere gehabt – Lisa. Wenn sie über die Feiertage nach Italien hätte fliegen wollen, wäre sie auch von den Scattaglias mit offenen Armen empfangen worden. Das hatten sie dann nachgeholt, als sie sie zu dem sogenannten kleinen Weihnachten am sechsten Januar besuchte. Ihr derzeitiges Problem war jedoch, dass es keinen Ersatz für die Person gab, die ihre Seele vervollständigt hatte.
Sie stieg
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