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SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

Titel: SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Opitz
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schielt ein bisschen und könnte seinem Gestus nach ohne weiteres auch den Fiesling in einer US-Serie darstellen.
    Die Computersysteme werden also immer wichtiger, der Mensch immer verzichtbarer. So viel habe ich bis hier verstanden, aber was Kennedy mir dann erzählt, verschlägt mir doch ein wenig die Sprache: Über neunzig Prozent ihrer Geschäfte wickeln die führenden Investmentbanken inzwischen im automatischen Computerhandel ab, dem sogenannten Black-Box- oder algorithmischen Handel. Ganz und gar ohne menschlichen Eingriff. Ich schnappe nach Luft. Man habe in den letzten zehn Jahren nach Wegen gesucht, Umsatz und Profit zu steigern, erklärt mir der Cheftechniker von Reuters. Und die Beschleunigung des Handels sei der Schlüssel dazu gewesen.
    Â»Das Tempo hier hat sich in den letzten paar Jahren vertausendfacht! Den Kunden geht es heute um Mikrosekunden. Eine Mikrosekunde, das ist ein Millionstel einer Sekunde. Also eine ziemlich kurze Zeitspanne …«, sagt Kennedy und lächelt dabei sanft. Ihn scheinen Zahlen wie diese glücklich oder zumindest sehr stolz zu machen. Ich bin, gelinde gesagt, baff. Hat der Mann mit dem Silberblick mir da gerade tatsächlich gesagt, dass über 90 Prozent des weltweiten Handels auf dem Finanzmarkt inzwischen stattfinden, ohne dass irgendeine Form menschlicher Urteilskraft oder Vernunft dazwischengeschaltet ist? Vollautomatisch? 90 Prozent? Heißt das, unsere Wirtschaft und damit ein Stück weit auch unsere Gesellschaft wird inzwischen gänzlich von Computern gesteuert? Mir wird schwindlig.
    Durch mehrere doppelte Sicherheitsschleusen, die nur mit Chipkarten zu passieren sind, gelangen wir in den Kontrollraum im fünften Stock des Reuters Data Center. Hier sieht es ein bisschen aus wie in der Kommandozentrale eines Atomkraftwerks, eines Raumfahrtzentrums oder bei James Bond. Solche Räume kenne ich sonst wirklich nur aus Filmen oder aus den Nachrichten. Ein gutes Dutzend Mitarbeiter überwacht hier auf ungefähr zehnmal so vielen Monitoren und Riesendisplays den weltweiten Echtzeit-Datenverkehr der Reuters-Informationsmaschinerie. Und die Männer steuern in diesem bunkerähnlichen Raum ohne Tageslicht den Supercomputer, in dem sie sitzen. Es ist ein beeindruckend surreales Bild.
    Und man ist bei Reuters stets bemüht, weitere Bereiche ausfindig zu machen, aus denen man die verbliebenen Reste menschlicher Langsamkeit beseitigen kann. Nicht nur die Verarbeitung von Zahlen und reinen Daten wie Börsen und Wechselkursen, sondern auch die komplexerer Informationen soll in Zukunft weitestgehend automatisiert vonstattengehen. Eine Software scannt inzwischen zum Beispiel die riesige Menge an Ankündigungen und Pressemitteilungen von Firmen und extrahiert daraus die wichtigsten Informationen, die dann automatisch in das Informationssystem eingespeist werden.
    Â»Zum Teil ist da noch ein geringer menschlicher Anteil bei dieser Arbeit notwendig. Bestimmte Nachrichten und Informationen wollen wir in Zukunft aber gern nur noch automatisch verarbeiten. Wir würden diese Vorgänge am liebsten voll automatisieren«, sagt Kennedy. »Deswegen arbeiten wir auch mit künstlicher Intelligenz«, freut er sich. Um die Prozesse weiter zu beschleunigen, arbeite man seit längerem zum Beispiel an machine-readable news . Da würden bestimmte Nachrichten und Schlagzeilen von den Redakteuren schon in einer Form verfasst, dass ein Computer sie lesen, verstehen, ohne menschliche Intervention einordnen und in eine bestimmte Handlungsanweisung übersetzen kann. Zum Beispiel ob ein Aktienpaket ge- oder verkauft werden soll. »Solche Produkte bieten wir bereits an, und sie werden in Zukunft eine noch größere Rolle spielen.«
    Es beruhigt regelrecht zu hören, dass es bei diesem irren Wett rennen der Computer um Milli- und Mikrosekunden manchmal dann aber doch wieder um ganz triviale Dinge geht wie zum Beispiel Kabellängen und Entfernungen. Denn die zu überbrücken kostet Zeit – auch wenn es inzwischen fast in Lichtgeschwindigkeit geht und die benötigte Zeit kaum messbar ist. Pro Kilometer Datenleitung, erklärt Kennedy, gehe eine hundertstel Millisekunde verloren. Deswegen habe jeder Wettbewerber ein großes Interesse daran, die eigenen Rechner möglichst nah an dem Hauptrechner der jeweiligen Börse zu platzieren. Die führenden Börsen vermieteten daher heute lukrativ Serverraum in der Nähe ihrer

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