SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
Art, das Beschleunigungsspiel weiter in Gang zu halten. Die andere haben die Finanzmärkte entdeckt. Eben Gewinne machen zu können, ohne real zu produzieren.
Sie haben sich zunehmend von der Realwirtschaft gelöst. Es wird nicht mehr in reale Güterproduktion investiert, sondern in teilweise fiktive Finanztitel. Da muss dann auch nichts mehr produziert und konsumiert werden. Der Akt des Kaufens und Verkaufens lässt sich in Sekundenbruchteilen erledigen. Wir haben heute rasend schnelle Finanzmärkte. Aber keine entsprechende Realbeschleunigung des Konsums und der Produktion. Und diese Auseinanderentwicklung musste irgendwann in den Kollaps führen. Den haben wir gerade eben wirtschaftlich überlebt, aber es gibt keine Anzeichen dafür, dass wir etwas daraus gelernt hätten. Und deshalb würde ich sagen, wir steuern geradewegs auf die nächste Beschleunigungskrise zu.
Die Frage nach den Grenzen unserer Beschleunigungsfähigkeit ist nicht leicht zu beantworten. Wir hatten immer wieder das Gefühl, schon an den absoluten Grenzen angekommen zu sein. Bereits vor zweihundert Jahren, als die Eisenbahn kam, gab es sofort Kulturpessimisten und auch Wissenschaftler, die glaubten, dass die äuÃerste Grenze erreicht sei. Da gab es sogar wissenschaftliche Untersuchungen, die gesagt haben: Der menschliche Körper und das menschliche Gehirn können nicht mehr als ungefähr 30 Kilometer pro Stunde aushalten. Die Menschen damals konnten das auch nachfühlen. Ihnen ist wirklich schlecht geworden, wenn sie aus dem Eisenbahnfenster geguckt haben. Weil sie erst noch auf den Bahndamm geschaut haben, und da wird uns auch heute noch schlecht. Wir haben als Kulturtechnik gelernt, beim Schnellfahren in die Ferne zu gucken, dann ist alles okay. Heute halten wir auch Geschwindigkeiten von 200 oder 300 Kilometer pro Stunde aus.
Wir können auch mehr Informationen verarbeiten als die Generationen vor uns. Und es gibt ganz plausible Untersuchungen, die zeigen, dass Kinder heute viel eher in der Lage sind, mehrere Dinge scheinbar gleichzeitig zu tun, als Ãltere. Die Grenzen sind also flexibel, elastisch und lassen sich verschieben. Trotzdem gibt es natürlich absolute Grenzen in unserem Körper. Manche Prozesse im Gehirn gehen einfach nicht schneller, und auch der Körper selbst hat gewisse Biorhythmen, da kann man nicht viel dran drehen. Und an diese Grenzen stoÃen wir immer häufiger. Zum Beispiel wenn wir müde oder »gejetlagt« sind.
Aber wir versuchen auf vielfache Weise, diese natürlichen Grenzen weiter zu verschieben. Eines Tages werden wir uns technisch und gentechnisch verändern lassen â und auch verändern wollen. Und ich würde sagen, wir sind schon auf dem besten Weg dahin. Nicht nur im Leistungssportbereich, in dem Sportler mit Doping und anderen Mitteln versuchen, ihre Grenzen zu überschreiten. Schauen Sie sich nur das gesamte Erziehungs- und das Bildungswesen an, wo Eltern alles tun, vom Tag der Geburt an, ihre Kinder wettbewerbsfit zu machen. Ihre gröÃte Angst ist es, dass die Kinder zurückbleiben könnten. Zum Teil beginnen die ja schon vor der Geburt, ihre Kinder zum Beispiel mit Fremdsprachen zu beschallen oder mit Musik oder auf andere Weise fit zu machen.
Und von da ist es auch nur noch ein ganz kleiner Schritt, den wir oft schon überschritten haben, zu sagen: Wir intervenieren auch mit chemischen oder pharmakologischen Substanzen aller Art, um Leistungsfähigkeit und eben auch Geschwindigkeiten zu steigern. Und wenn es die Möglichkeit geben wird â und es gibt überhaupt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass es sie geben wird â, uns mit technischen oder gentechnischen Veränderungen oder einer Fusion von Technik und Gentechnik zu verbessern, dann werden wir das tun. Das folgt immer der gleichen Logik. Sobald die Ersten das tun, sind die anderen gezwungen nachzuziehen. Das würde natürlich erst mal niemand zugeben. Wenn man das heute Eltern erzählt, würde man einen Aufschrei hören. Aber ich glaube, die Steigerungslogik wird uns früher oder später dazu zwingen: Die Fusion von Gen- und Computertechnologie in unserem Körper könnte irgendwann der einzige Weg sein, wie wir unsere Körper in Zukunft für die hohen Geschwindigkeiten, die wir sozial erzeugen, fit halten.
Es gibt natürlich auch kollektive Grenzen der Beschleunigung, die man an der ökologischen Krise ganz schön
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